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IACM-Informationen vom 14. November 1998

Großbritannien: Oberhaus fordert Legalisierung von Cannabis für medizinische Anwendung

Britischen Ärzten sollte schnell die Möglichkeit eröffnet werden, ihren Patienten Cannabis zu verschreiben, noch bevor Studien beweisen können, dass es einen klaren medizinischen Nutzen hat. Dies ist die Schlussfolgerung eines Berichts des Oberhauses mit dem Titel "Cannabis: the scientific and medical ecidence" (Cannabis: Der Stand in Wissenschaft und Medizin), der am 11. November der Öffentlichkeit vorgestellte wurde.

Das Oberhaus des Parlaments setzte im Februar 1998 einen Unterausschuss des Komitees für Wissenschaft und Technologie, bestehend aus 12 Lords, ein, der die wissenschaftlichen Befunde für und gegen eine Aufrechterhaltung des Verbotes von Cannabis für die medizinische Verwendung und die Verwendung zu Genusszwecken untersuchen sollte. Zwischen März und Juli fanden Anhörungen statt. Unter den Gehörten befanden sich die Allianz für Cannabis-Therapeutika (ACT, Alliance for Cannabis Therapeutics), die Britische Medizinische Gesellschaft, die Multiple Sklerose Gesellschaft, das nationale Zentrum für Suchtforschung und weitere 60 Einzelpersonen und Institutionen.

In dem 54seitigen Bericht des Komitees, dem Lord Perry von Walton, ein ehemaliger Professor für Pharmakologie, vorsaß, heisst es, dass hunderte von Briten, die unter Schmerzzuständen litten, die Gesetze missachteten, um Linderung zu erhalten. Die Lords fordern, dass Cannabis im Gesetz zu einer rezeptierfähigen Substanz umgestuft wird, damit Ärzte es verschreiben und Apotheker es abgeben können.

Es lägen ausreichend Beweise vor, nach denen Cannabis bei multipler Sklerose und bestimmten Schmerzformen wirksam sei. Die Lords sind weniger überzeugt über seine Wirksamkeit bei anderen Krankheitszuständen, darunter Epilepsie, Glaukom und Asthma.

In einer Pressemitteilung des Oberhauses vom 11. November heisst es: "Die Lords begrüssen die Tatsache, dass zur Zeit klinische Studien mit Cannabis vorbereitet werden, von der Königlichen Pharmazeutischen Gesellschaft und von Dr. Geoffrey Guy von GW Pharmaceuticals, mit der Intention, eventuell eine arzneiliche Zulassung für eine Cannabiszubereitung zu erhalten. Die Lords sagen allerdings, dass Cannabis jetzt umgestuft werden soll, anstatt mehrere Jahre auf die Ergebnisse der Studien zu warten."

Patientengruppen, Politiker und sogar Anti-Drogen-Aktivisten begrüssten die Schlussfolgerung. Die Ständige Konferenz zum Drogenmissbrauch, die mehr als 500 im Drogenbreich arbeitende Gruppen vertritt, erklärte, die Vorschläge der Lords entsprängen einer "überwältigenden wissenschaftlichen Beweislage". Ihr Vorsitzender Roger Howard räumte ein, dass Cannabis keine "gutartige" Droge sei, forderte jedoch die Regierung auf, den Bericht positiv aufzunehmen.

Das Innenministerium wies die Empfehlungen des Komitees jedoch zurück. Minister George Howarth erklärte: "Die Regierung ist nicht bereit, irgendeinen Schritt zur Erlaubnis einer Verschreibung zu unternehmen, bevor klinische Studien und Sicherheitsuntersuchungen abgeschlossen sind. Die Sicherheit der Patienten ist unsere Priorität, und die Regierung würde nicht die Verschreibung irgendeines Medikamentes erlauben, welches nicht vorher in einem klinischen Prozess hinsichtlich Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität untersucht worden ist."

Die Britische Medizinische Gesellschaft erklärte, es sei ein falscher Weg, Cannabis verschreibungsfähig zu machen. Das könne verhindern, dass neue, effektivere Medikamente entwickelt werden. Die Ärztevertretung wünscht mehr Studien, um zu ermitteln, welche der mehr als 60 in der Pflanze enthaltenen Cannabinoide therapeutische Qualitäten und welche schädliche Wirkungen haben.

Britische Ärzte durften bis 1973 Cannabis verschreiben. Dann wurde es von der Liste der rezeptierfähigen Medikamente genommen. Der spezielle Ratgeber des Komitees, Leslie Iverson, Professor für Pharmakologie an der Oxford Universität, sagte, dass seit den 70er Jahren die wissenschaftliche Erkenntnis über die Vorteile der Droge zugenommen habe.

Der Bericht ist im Internet erreichbar über die Home-Page des britischen Parlaments >>www.parliament.uk<< oder direkt: >>www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/ld199798/ldselect/ldsctech/151/15101.htm<<
Gedruckte Exemplare sind erhältlich bei: The Publications Centre, PO Box 276, London SW8 5DT, Fax: ++44-171-8738200, ISBN: 0 10 4151986.

(Quellen: "Cannabis: the scientific and medical evidence", Bericht eines Unterausschusses des Komitees für Wissenschaft und Technologie des Oberhauses; Presseinformation des Oberhauses vom 11. November 1998; Reuters vom 11. November 1998, PA vom 8. und 11. November 1998, Australische AP vom 11. November 1998, dpa vom 11. November 1998)

USA: Wähler fordern die medizinische Verwendung von Marihuana

Wähler in Alaska, Oregon, Nevada und Washington nahmen mit überwältigender Mehrheit im Rahmen der Kongresswahlen am 3. November Initiativen an, die Patienten von der Strafverfolgung ausnehmen, wenn sie Marihuana unter der Aufsicht eines Arztes verwenden. Die Wähler in Arizona bestätigten erneut die medizinische Marihuanainitiative, die bereits vor zwei Jahren zur Abstimmung gekommen war. Das Gesetz in Nevada verlangt, dass die Wähler noch einmal im Jahre 2000 über die Marihuanainitiative abstimmen, bevor sie Gesetz werden kann.

In jedem der fünf Staaten erhielten die Initiativen eine Zustimmung von mindestens 55 Prozent. Die Wahlergebnisse im Einzelnen:

ALASKA (Vorschlag 8):
57,75% für die medizinische Verwendung von Marihuana, 42,25% dagegen.

NEVADA (Frage 9):
59% für die medizinische Verwendung von Marihuana, 41% dagegen.

ARIZONA (Vorschlag 300):
57,4% für die medizinische Verwendung aller im Betäubungsmittelgesetz aufgeführten Drogen, 42,6% dagegen.

OREGON (Maßnahme 67):
55% für die medizinische Verwendung von Marihuana, 45% dagegen.

WASHINGTON (Initiative 692):
58,70% für die medizinische Verwendung von Marihuana, 41,30% dagegen.

Beispielsweise dürfen Patienten mit bestimmten Erkrankungen oder ihre benannten Pflegepersonen nach Initiative 692 des Staates Washington eine 60-Tagesration Marihuana anbauen und besitzen. Die exakte Menge wurde allerdings nicht festgelegt. Ärzte, die in Frage kommende Patienten über Nutzen und Risiken von Marihuana unterrichten, sind ebenfalls von einer Strafverfolgung ausgenommen.

Vertreter der Behörde für Drogenpolitik im Weissen Haus erklärten, sie seien von den Wahlergebnissen nicht beeindruckt. "Das macht uns nicht glauben, dass Marihuana eine sichere Substanz ist," erklärte Jim McDonough, Strategiedirektor des Amtes für die nationale Drogenkontrollpolitik. "Die Überschrift lautet: Das ist keine Wissenschaft."

Unterstützer der Initiativen erklärten dagegen, die Wahlergebnisse zeigten die starke und breite Unterstützung, die die Bundesbehörden nur schwer ignorieren könnten. "Ich denke nicht, dass irgend jemand, besonders nicht die Drogenbehörde, gedacht hat, dass alle angenommen würden," erklärte Dave Fratello, Sprecher der "Amerikaner für medizinische Rechte" (Americans for Medical Rights).

Die Gruppe sagte, man werde eine für ungültig erklärte Initiative in Colorado im nächsten Jahr wieder neu beleben, und wolle eine weitere bei den Wahlen in Maine zur Abstimmung bringen. In Sicht seien zudem Massachusetts, Florida, Ohio, Illinois und Michigan. "Zuerst kam Kalifornien, und möglicherweise hielten viele Leute Kalifornien für anormal," sagte Fratello. "Jetzt ist es der gesamte Westen, was überzeugend ist, aber es ist noch nicht der Mittelwesten."

(Quellen: Verschiedene Tageszeitungen der USA)

Deutschland: Gemischte Äusserungen der Regierung zu Cannabis

Der neue sozialdemokratische Innenminister Otto Schily plant entgegen ersten Interpretationen eines Interviews, das er mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" führte, keine Legalisierung weicher Drogen. Dies erklärte er am 9. November vor Journalisten in Berlin. Man habe seine Äusserungen überbewertet.

Im Spiegel-Interview vom 9. November wird Schily zitiert: "Was die sogenannten weichen Drogen angeht, bin ich mit meinen Überlegungen noch nicht am Ende. Ich werde mich von der Wirklichkeit belehren und mir keine Denkverbote auferlegen lassen."

Auf die anschliessende Frage, ob dies heisse, dass "der Verbrauch und Handel von Cannabis in kleineren Mengen" möglicherweise legalisiert werde, sagte er: "Wir wollen es jedenfalls prüfen. Es gibt dazu interessante Aufsätze und auch einen EU-Bericht. Ausserdem werde ich mir von Sachverständigen alle Aspekte noch einmal genauer erläutern lassen."

In Berlin erklärte er nun, die Sozialdemokraten seien gegen eine Freigabe von Haschisch und Marihuana: "Ich sehe im Moment überhaupt keine Veranlassung, diese Position zu verändern." Es sei jedoch klar, dass er seine jetzige Position überprüfen werde, falls Ausführungen von Sachverständigen dazu Anlass böten.

Die deutsche Gesundheitsministerin Andrea Fischer von den Grünen verglich die Cannabis-Produkte Haschisch und Marihuana mit Alkohol. "Wer es schafft, Maß zu halten, vielleicht jeden Abend ein halbes Glas zu trinken, kann damit ein Leben lang gut zurechtkommen. Einigen Menschen gelingt das, vielen anderen aber nicht", sagte Fischer dem "Der Spiegel", der am 16. November erscheint.

Mit ihren Amtskollegen aus den deutschen Ländern wolle sie sich auf ein einheitliches Strafmaß für den Besitz von Cannabis verständigen.

(Quellen: Der Spiegel vom 9. November 1998, dpa vom 7., 9. und 14. November 1998, AP vom 9. November 1998, Reuters vom 8. November 1998)

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