IACM-Informationen vom 04. August 2007
- Wissenschaft/Großbritannien: Eine vielfach zitierte neue Übersicht unterstützt frühere Studien, nach denen die Verwendung von Cannabis mit einem erhöhten Risiko für Psychosen verbunden ist
- Europa: Rücknahme eines Zulassungsantrages für Sativex
- Wissenschaft: Bei der Verwendung von Cannabistee wird nur ein kleiner Teil von THC im Cannabis aufgenommen
- Kurzmeldungen
- Blick in die Vergangenheit
Wissenschaft/Großbritannien: Eine vielfach zitierte neue Übersicht unterstützt frühere Studien, nach denen die Verwendung von Cannabis mit einem erhöhten Risiko für Psychosen verbunden ist
Am 28. Juli wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift Lancet eine Übersicht veröffentlicht, die in einem Kommentar als "die bisher umfassendste Metaanalyse zu einer möglichen ursächlichen Beziehung zwischen Cannabiskonsum und psychotischen und affektiven Erkrankungen im späteren Leben" bezeichnet wurde. Ein wichtiger Grund, warum diese Übersicht diese Aufmerksamkeit erzielt, ist die Überlegung der neuen britischen Regierung und des neuen Premierministers Gordon Brown, Cannabis im britischen Betäubungsmittelgesetz wieder von einer Droge der Klasse C zu einer Droge der Klasse B umzuklassifizieren, sodass der Besitz von Cannabis wieder zu einer Verhaftung führen würde. Im Jahr 2004 wurde Cannabis von einer Droge der Klasse B zur Klasse C herabgestuft.
In ihrer neuen Übersicht von sieben Längsschnittstudien fanden Dr. Theresa Moore von der Universität von Bristol (Großbritannien) und ihre Kollegen bei Personen, die jemals Cannabis konsumiert hatten, ein um 41 Prozent erhöhtes Risiko für Psychosen oder psychotische Symptome. Es gab eine Verdopplung des Risikos für Personen, die Cannabis am häufigsten konsumiert hatten (Odds Ratio: 2,09), wie es bereits frühere Übersichten nahe legten. Ergebnisse für einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Depressionen, Selbstmordgedanken und Angst waren weniger einheitlich.
Die Forscher wiesen darauf hin, dass es auf der Grundlage dieser Studien nicht möglich ist, zu beweisen, dass Cannabiskonsum Psychosen verursacht, sie stellten jedoch fest: "Die Unsicherheit darüber, ob Cannabis Psychosen verursacht, wird wahrscheinlich nicht durch weitere Längsschnittstudien, wie die hier analysierten, aufgelöst werden. Allerdings ziehen wir die Schlussfolgerung, dass es nun genügend Hinweise gibt, um junge Menschen zu warnen, dass die Verwendung von Cannabis ihr Risiko zur Entwicklung einer psychotischen Erkrankung im späteren Leben vergrößern könnte." In einem Editorial heißt es: "1995 begannen wir ein Lancet-Editorial mit den seither oft zitiert Worten: 'Das Rauchen von Cannabis, selbst langzeitig, ist nicht schädlich für die Gesundheit.' Forschung, die seit 1995 veröffentlicht wurde, inklusive Moores systematischer Übersicht in dieser Ausgabe, lassen uns nun schlussfolgern, dass Cannabiskonsum das Risiko für psychotische Erkrankungen vergrößern könnte."
Jüngst haben mehrere britische Poiltiker sich als frühere Cannabiskonsumenten geoutet und ihre Reue gezeigt. Es würde als ein absurder Witz angesehen, wenn in Analogie Politiker sich zur Alkoholabstinenz verpflichten würden, um ein gutes Beispiel für Heranwachsende abzugeben und wegen des Zusammenhangs zwischen Alkoholkonsum und Herzkreislauferkrankungen, Lebererkrankungen, bösartigen Tumoren und psychiatrischen Erkrankungen, wie Depressionen, Manie, Phobien, generalisierten Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie und Selbstmord. Solch eine Verpflichtung und die Idee eines Alkoholverbots würde als Unkenntnis der Regeln der internationalen Drogenpolitik und den Auswirkungen auf die Verkaufsraten von schottischem Whisky betrachtet. Ein allgemeines Verbot von Alkohol kommt allein schon deshalb nicht in Frage, weil es die Entwicklung krimineller Strukturen fördern, die Steuereinnahmen verringern, die Polizei von wichtigeren Aufgaben abhalten und die gesundheitlichen Auswirkungen des Alkohols durch eine fehlende Qualitätskontrolle und Verunreinigungen vergrößern würde. Alle diese unerwünschten Nebenwirkungen sind schließlich bereits für Cannabis bekannt.
Der gesamte Artikel, der Kommentar von Nordentoft & Hjorthøj und das Editorial sind verfügbar unter:
image.guardian.co.uk/sys-files/Guardian/documents/2007/07/27/cannabis_new.pdf
(Quelle: Moore TH, Zammit S, Lingford-Hughes A, Barnes TR, Jones PB, Burke M, Lewis G. Cannabis use and risk of psychotic or affective mental health outcomes: a systematic review. Lancet 2007;370(9584):319-28.)
Europa: Rücknahme eines Zulassungsantrages für Sativex
Am 20. Juli hat die britische Firma GW Pharmaceuticals mitgeteilt, dass es seinen aktuellen Zulassungsantrag für Sativex in EURopa für die Behandlung der Spastik bei Patienten mit multipler Sklerose zurückgezogen hat. Sie erwartet, einen neuen Antrag entweder für Spastik oder für neuropathische Schmerzen bei MS im Jahr 2008 zu stellen. Die Entscheidung wurde nach Gesprächen mit Zulassungsbehörden gefällt.
Im September 2006 hatte GW einen Antrag für Sativex nach dem dezentralisierten Prozess für vier EURopäische Länder (Großbritannien, Spanien, Dänemark, Niederlande) gestellt. Bisher ist es GW gelungen, die meisten Fragen, die während des Prozesses durch die Regulierungsbehörden aufgeworfen wurden, zu lösen, mit Ausnahme einer, die die Durchführung einer weiteren Studie erfordert. Der aktuelle Zulassungsprozesses hat bestätigt, dass die Daten zur Qualität und Sicherheit bereits ausreichen, um eine Zulassung von Sativex zu unterstützen. Die Behörden haben zudem bestätigt, dass die bisherigen Daten zur Wirksamkeit statistisch signifikante Hinweise darstellen und "im Prinzip zu einer positiven Risiko-Nutzen-Schlussfolgerung führen könnten ".
Zusätzlich wünschen die Zulassungsbehörden jedoch die Möglichkeit zur Identifizierung von Patienten, die mit Sativex wirksam behandelt werden ("Ansprecher"), innerhalb der ersten vier Behandlungswochen und eine Bestätigung, dass die erhaltenen Verbesserungen bei den Ansprechern über einen Zeitraum von weiteren zwölf Wochen signifikant größer sind als mit Plazebo. Rest streichen
Mehr unter: www.gwpharm.com
(Quelle: Pressemitteilung von GW Pharmaceuticals vom 20. Juli 2007)
Wissenschaft: Bei der Verwendung von Cannabistee wird nur ein kleiner Teil von THC im Cannabis aufgenommen
Den Nutzern von medizinischem Cannabis in den Niederlanden wird vom Büro für medizinischen Cannabis empfohlen, Cannabistee auf die folgende Art zuzubereiten: "füge 1,0 g Cannabis zu 1,0 l kochendem Wasser und lass es 15 min ziehen. Filtere feste Bestandteile mit einem gewöhnlichen Teesieb ab. Der Tee kann sofort konsumiert werden oder bis zu fünf Tage lang in einer geschlossenen Flasche in einem Kühlschrank aufbewahrt werden."
Forscher der Universität von Leiden untersuchten die Cannabinoidzusammensetzung diese Tees. Sie fanden heraus, dass Tee, der mit verschiedenen Proben von Cannabis mit einem Gesamt-THC-Gehalt (phenolisches THC + THC-Säure) von 19,7 Prozent nur eine mäßige Variation der THC-Konzentration von 15 Prozent aufwies. Die mittlere THC-Konzentration von THC betrug 10 mg pro Liter und von THC-Säure (THCA) von 43 mg/l. In der Pflanze liegt THC überwiegend als THCA vor und wird durch Erhitzen (Backen, Rauchen, Kochen) in das psychotrope THC umgewandelt. Da beim Kochen von Wasser nur vergleichsweise geringe Temperaturen von 100 Grad Celsius erreicht werden, wurde nur ein kleiner Teil von THCA in THC umgewandelt, sodass in dieser Studie nur etwa 5 Prozent des gesamten THCs (10 mg von 197 mg) im Tee als phenolisches THC verfügbar war. Die Autoren fanden zudem heraus, dass die THC-Konzentration während der Lagerung schnell abnahm, was durch Hinzufügen Kaffeesahnepulver weitgehend verhindert werden konnte.
(Quelle: Hazekamp A, Bastola K, Rashidi H, Bender J, Verpoorte R. Cannabis tea revisited: A systematic evaluation of the cannabinoid composition of cannabis tea. J Ethnopharmacol, 24. Mai 2007; [Elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])
Kurzmeldungen
Wissenschaft: THC und Kaposi-Sarkom
In Zellexperimenten fanden Wissenschaftler der Harvard-Universität in Boston (USA) heraus, dass THC in niedrigen Konzentrationen, wie es im Blut von medizinischen Verwendern von THC und Cannabis gefunden wird, die Infektionsrate von Endothelzellen mit dem Kaposi-Sarkom-assoziierten Herpesvirus (KSHV) erhöht. THC förderte dosisabhängig weitere Schritte, die zur Entwicklung eines Kaposi-Sarkoms, eine Krebserkrankung, die vor allem bei Aids-Patienten auftritt, führen. Die Forscher folgerten, dass die "Verwendung von Cannabinoiden diese Individuen einem größeren Risiko für die Entwicklung und das Fortschreiten eines Kaposi-Sarkoms aussetzen könnte". Sie weisen darauf hin, dass weitere epidemiologische Studien und klinische Forschung notwendig sind, um die Bedeutung und Sicherheit von THC zu klären. (Quelle: Zhang X, et al. Cancer Res 2007;67:7230-7.)
Wissenschaft: Entzug
In einer Studie mit 12 Teilnehmern, die sowohl Cannabis als auch Tabak konsumierten, wurden Entzugssymptome untersucht. Die Forscher fanden, dass in einem 5-tägigen Zeitraum von entweder Cannabis- oder Tabakabstinenz "die Stärke des Entzugs im Zusammenhang mit Cannabis allein und Tabak allein insgesamt von einer ähnlichen Größe war". Der Entzug nach der Abstinenz von beiden Drogen zusammen war stärker als der für jede Substanz allein. Es wurden erhebliche Unterschiede zwischen den 12 Personen beobachtet. (Quelle: Vandrey RG, et al. Drug Alcohol Depend, 21. Juli 2007; [Elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])
Wissenschaft: Multiple Sklerose
Das Endocannabinoidsystem weist bei multipler Sklerose eine Fehlregulation auf. Die Konzentration von Anandamid war in der Gehirnflüssigkeit und in Lymphozyten (eine Form von weißen Blutkörperchen) von MS-Patienten erhöht. Die höheren Konzentrationen in den Lymphozyten waren mit einer verstärkten Synthese und einem reduzierten Abbau von Anandamid assoziiert. Diese Veränderungen können als ein Versuch des Körpers, die Erkrankung zu bekämpfen, betrachtet werden. (Quelle: Centonze D, et al. Brain, 11. Juli 2007; [Elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])
Holland: Coffee-Shops
In der letzten Zeit häufen sich die Meldungen, nach denen der liberalen Cannabispolitik in den Niederlanden ein Ende bereitet werden soll. Beispielsweise wird die Mindestentfernung zwischen Coffee-Shops und Schulen in einigen Städten vergrößert, so dass viele Coffee-Shops schließen müssen. Der konservative Premierminister Jan Peter Balkenende hat schon seit Jahren deutlich gemacht, dass er den Verkauf der weichen Drogen nicht mehr länger tolerieren und beenden will. Seit er regiert, hat sich die Zahl der Coffee-Shops um ein Drittel auf derzeit schätzungsweise 750 verringert. (Quelle: Die Presse vom 4. Juni 2007)
Wissenschaft: Überaktivität der Blase
Eine Überaktivität der Blase wird häufig bei Patienten mit Querschnittslähmung und multipler Sklerose beobachtet. In einer Tierstudie mit Ratten reduzierte das synthetische Cannabinoid ajulemische Säure (IP-751) diese Überaktivität. Diese Wirkung wurde durch einen CB1-Rezeptorantagonisten blockiert, was zeigt, dass sie zumindest zum Teil durch den CB1-Rezeptor vermittelt wurde. (Quelle: Hiragata S, et al. Urology 2007;70(1):202-8.)
Wissenschaft: Rauchen
Wissenschaftler aus Neuseeland berichteten, dass eine Cannabiszigarette bei der Reduzierung der Funktion der großen Atemwege so schädlich war wie 2,5 bis 6 Tabakzigaretten. Im Gegensatz dazu war Cannabisrauchen nur selten mit einem Emphysem verbunden. (Quelle: Aldington S, et al. Thorax, 31. Juli 2007; [Elektronische Veröffentlichung vor dem Druck])
Schweiz: Bern
Im Mai 2006 hatte der Stadtrat der Bundeshauptstadt Bern beschlossen, ein Pilotprojekt zum kontrollierten Verkauf von Cannabis zu starten. Dieses Projekt wurde jedoch fallen gelassen, nachdem sich der Kanton gegen ein solches Projekt ausgesprochen hatte. (Quelle: 20min.ch vom 14. Juni 2007, www.20min.ch/news/bern/story/26021725)
Blick in die Vergangenheit
Vor einem Jahr
- Wissenschaft: Nabilon wirksam bei der Behandlung chronischer Schmerzen in klinischer Studie
- Kanada: Gesundheitsministerium sucht neuen Lieferanten für Cannabis zu medizinischen Zwecken
- Wissenschaft: Örtliche Anwendung eines natürlichen Endocannabinoids wirksam bei der Reduzierung von Juckreiz in klinischer Studie
Vor zwei Jahren
Veranstaltungen 2020
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IACM-Konferenz 2022
Die 12. IACM-Konferenz zu Cannabinoiden in der Medizin wird am 20. und 21. Oktober 2022 zusammen mit der Schweizerischen SSCM in Basel/Schweiz stattfinden.
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