ACM-Mitteilungen vom 27. Januar 2018
- Liebe Leserin, lieber Leser,
- Schreiben des Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM) an Vertreter der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD
- Antwort von Andrea Nahles, Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag auf das Schreiben des SCM
- Deutscher Verkehrsgerichtstag zu Cannabis als Medizin und Fahreignung
- Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
Liebe Leserin, lieber Leser,
Zurzeit laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU zur Bildung einer neuen Regierung. Vertreter beider Fraktionen hatten bereits im Jahr 2017 Nachbesserungen des Cannabis als Medizin-Gesetzes versprochen. Dies gilt unter anderem für die Frage der Kostenübernahme durch die Krankenkassen oder auch für die gestiegenen Preise von Cannabisblüten.
Eine Umfrage des SCM (Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin) zeigt, dass die meisten früheren Erlaubnisinhaber zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke nach § 3 Abs. 2 BtMG bisher noch kein Cannabis mit einer Kostenübernahme durch die Krankenkasse verschrieben bekommen.
Der aktuelle Stand der Umfrage mit 4 alternativen Antwortmöglichkeiten nach der Teilnahme von insgesamt 581 ehemaligen Erlebnisinhabern (von damals etwas über 1000) bietet folgendes Bild:
- Ich finde keinen Arzt, der bereit ist zu verschreiben (51%, 298 Stimmen)
- Mein Arzt ist bereit mir Cannabis zu verschreiben, aber die Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht (25%, 144 Stimmen)
- Jetzt bekomme ich Cannabis auf Rezept und die Krankenkasse zahlt (21%, 123 Stimmen)
- Ich habe eine Kostenzusage der Krankenkasse, finde aber keinen Arzt, der es mir verschreibt (3%, 16 Stimmen)
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Schreiben des Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM) an Vertreter der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD
"Sehr geehrte Damen und Herren,
Seit dem 10.März 2017 ist das neue Gesetz zu Cannabis als Medizin in Kraft, mit dem seitens der Bundesregierung das Versprechen abgegeben worden ist, Kranken erleichterten Zugang zu Cannabisblüten und Cannabismedikamenten zu ermöglichen.
Inzwischen stellt sich jedoch heraus, dass Patienten mit neuerlichen Hürden konfrontiert werden und für viele, die Cannabis aufgrund einer Ausnahmegenehmigung erwerben konnten, die Situation sich sogar dramatisch verschlechtert hat.
Wir wenden uns an Sie, weil wir hoffen, dass die Verbesserung der Cannabis-Patienten-Situation Bestandteil der Koalitionsverhandlungen wird und das Ergebnis nicht hinter die Vereinbarungen der Gespräche von CDU / Grünen / FDP zurückfällt.
Bitte unterstützen Sie unsere auf langjährige Patientenerfahrung beruhenden Forderungen.
- In das Betäubungsmittelgesetz einen § 31b einzufügen, der festlegt, dass bei Patienten, denen der Arzt Cannabis empfiehlt, von einer Strafverfolgung abgesehen wird, denn Patienten, die keinen Arzt finden, der ihnen Cannabis verschreibt, oder die keine Kostenzusage der Kasse bekommen, müssen sich dennoch medizinisch versorgen können. Diese Betroffenen dürfen nicht auch noch durch Strafverfolgung bedroht werden. Gleiches gilt für Patienten, die eine Kostenzusage haben, aber durch fortdauernde Lieferausfälle nicht kontinuierlich versorgt sind.
Folgende Nachbesserungen des Gesetzes können die Situation der Patienten ebenfalls erleichtern:
– Abgabe von Cannabisblüten zu angemessenen Preisen in verschlossenen Behältnissen ohne kostenaufwändige Nachprüfung durch Apotheken
– Herausnahme von Cannabisblüten aus dem ärztlichen Praxisbudget, Anerkennung von Cannabis und Cannabisprodukten als Praxisbesonderheit
Automatische Kostenübernahme von Cannabisblüten für alle bisherigen Erlaubnis-Inhaber nach § 3 BtMG
– Umfassende Aufklärung und Fortbildung der Ärzteschaft über Cannabis als Medizin
– Beendigung der überzogenen, dem ursprünglichen Sinn des neuen Gesetzes widersprechenden Anforderungen an Ärzte und Patienten durch MDK und Krankenkassen und
– Unterbinden der zeitlichen Befristung von Kostenübernahmen.
Wir führen auf unserer Website: https://selbsthilfenetzwerk-cannabis-medizin.de/ aktuell eine Umfrage unter Patienten durch, die vor Geltungskraft des neuen Gesetzes eine Ausnahmeerlaubnis zum Bezug von Cannabis besessen haben.
Das vorläufige Ergebnis – beruhend auf 527 teilnehmenden Patienten - ist verheerend. Nicht mal ein Viertel der ehemaligen Erlaubnisinhaber bekommt Cannabis verschrieben und erstattet:
– Ich finde keinen Arzt, der bereit ist zu verschreiben (49%, 257 Stimmen)
– Mein Arzt ist bereit mir Cannabis zu verschreiben, aber die Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht (26%, 135 Stimmen)
– Ich bekomme Cannabis auf Rezept und die Krankenkasse zahlt (23%, 120 Stimmen)
– Ich habe eine Kostenzusage der Krankenkasse, finde aber keinen Arzt, der es mir verschreibt (3%, 15 Stimmen)
Bei Patienten, die zuvor keine Ausnahmeerlaubnis innehatten, dürfte das Ergebnis noch schlechter ausfallen.
Viele Ärzte weigern sich generell, Cannabis zu verschreiben, weil ihnen das nötige medizinische Wissen zum komplexen Sachthema „Cannabinoide“ fehlt, oder weil ihnen „von Oben“ - also Krankenhausleitungen und Besitzern von Großpraxen die Verschreibung untersagt wird.
Andere Ärzte wiederum, die Cannabis verschreiben würden, haben massive Angst vor Regressforderungen, was durch unangemessene Preissteigerungen für Cannabisprodukte nach Inkrafttreten des Gesetzes verstärkt wird. Überzogene Warnungen ärztlicher Standesvertreter bringen selbst Ärzte, die bislang Cannabis verschrieben haben, dazu, die Behandlung wieder abzubrechen.
Für Cannabis ist inzwischen eine Verdoppelung des Preises eingetreten, bei Rezepturen sogar noch darüber hinaus. Bei Cannabisblüten liegt dies an einer neuerlichen Prüfung durch die Apotheke, obgleich Blütenmaterial im Vorfeld bereits mehrfach geprüft wird.
Obwohl das Cannabis als Medizin-Gesetz vorschreibt, dass Krankenkassen nur in begründeten Ausnahmefällen die Kostenübernahme von ärztlich verordnetem Cannabis ablehnen dürfen, ist gängige Praxis, Kostenerstattungsanträge den zuständigen MDK zur Prüfung vorzulegen. Diese entscheiden sodann oftmals unter haarsträubenden Begründungen gegen das Patientenwohl und empfehlen den Kassen, Kosten nicht zu erstatten.
Aller Begleitforschung zum Trotz, die der Tatsache Rechnung tragen soll, dass es derzeit noch keine ausreichenden Phase 3-Studien zur Wirksamkeit von Cannabis gibt, verlangen Krankenkassen und MDK von Ärzten und Patienten jedoch die Vorlage eben solcher Studien bzw. begründen mit deren Fehlen die Ablehnung von Kostenübernahmen.
Etliche Anträge werden mit nicht nachvollziehbaren Argumenten abgelehnt; sogar dann, wenn die Wirksamkeit von Cannabis im konkreten Einzelfall bereits erwiesen – oder durch das BfArM-Prozedere im Rahmen von § 3 BtMG-Ausnahmegenehmigungen bestätigt worden ist.
Dies hat zur Folge, dass Patienten, die entweder noch keinen Cannabis verschreibenden Arzt gefunden haben oder aber in langwierige Widerspruchs- oder Klageverfahren gegen Krankenkassen gezwungen werden, trotz möglicherweise existierender Ausnahmeerlaubnis Cannabis aus der Apotheke sich finanziell schlicht nicht leisten können.
Dies öffnet der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung, Cannabis-Eigenanbau zu verhindern, juristisch Tür und Tor, nachdem erst die o.g. widrigen Begleitumstände des Gesetzes für die vielen, akuten Notstandsverhältnisse unter ungezählten Kranken sorgen.
Bitte legen Sie in den Koalitionsverhandlungen fest, dass diese Missstände behoben werden.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Gebhardt, Axel Junker, Sprecher des SCM
c/o Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V.
Am Mildenweg 6
59602 Rüthen"
Antwort von Andrea Nahles, Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag auf das Schreiben des SCM
„Liebe Frau Gebhardt, lieber Herr Junker,
vielen Dank für Ihre kritische Zuschrift.
Wir hatten am Sonntag bei unserem Parteitag eine intensive, leidenschaftliche Debatte mit einem ehrlichen Ergebnis. Ich bin froh, dass wir jetzt Koalitionsverhandlungen aufnehmen können. Ich nehme diese Verhandlungen sehr ernst und werde hart verhandeln, um noch mehr für die Menschen herauszuholen. Das Votum auf dem Parteitag zeigt aber auch, dass wir viele Skeptiker in der Partei haben, die wir noch überzeugen müssen. Für mich ist klar: Weder geben wir die SPD auf, wenn wir mit der Union eine Regierung bilden. Noch versperrt uns das den Weg zur Erneuerung, die wir dringend brauchen. Ob wir es schaffen, uns zu erneuern und unser programmatisches Profil zu schärfen, hängt ausschließlich von uns selbst ab. Dass dabei auch Fragen der Cannabispolitik eine Rolle spielen werden, ist klar. Gerne werde ich versuchen, mich in Ihrem Sinne für die Sache einzusetzen, auch wenn ich weiß, dass das mit der Union ein hartes Stück Arbeit wird.
Beste Grüße,
Andrea Nahles“
Deutscher Verkehrsgerichtstag zu Cannabis als Medizin und Fahreignung
Der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag fand vom 24. bis 26. Januar 2018 in Goslar statt. Dabei wurde das Thema Cannabiskonsum und Fahreignung diskutiert, darunter auch die Fahreignung bei medizinischer Verwendung von Cannabis. Die Teilnehmer verabschiedeten Empfehlungen.
Empfehlungen des Arbeitskreises „Cannabiskonsum und Fahreignung“
„Die Fahrerlaubnis-Verordnung bedarf im Hinblick auf Arznei- und berauschende Mittel einer Überarbeitung durch den Verordnungsgeber.
Der Arbeitskreis ist der Auffassung, dass die erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne Weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen wird, sondern lediglich Zweifel an seiner Fahreignung auslöst, die er mittels einer MPU ausräumen kann.
Der Arbeitskreis vertritt die Meinung, dass nicht bereits ab 1 ng/ml im Blutserum fehlendes Trennvermögen unterstellt werden darf. Der Arbeitskreis teilt die Feststellungen der Grenzwertkommission, wonach dies erst ab einem THC-Wert von 3 ng/ml Blutserum der Fall ist.
Auch im Falle einer medizinischen Indikation, insbesondere für die Verordnung von Cannabis-Blüten begründet eine Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis Zweifel an der Fahreignung. Aus dem Gebot der Verkehrssicherheit heraus ist es deshalb erforderlich, dass dann auch vor dem Hintergrund der Grunderkrankung die Fahreignung zu prüfen ist.
Auch in diesem Sinne müssen die Patienten, die ein Kraftfahrzeug führen wollen, durch entsprechend qualifizierte Ärzte umfassend über Ihre Beeinträchtigung der Fahreignung und Fahrsicherheit informiert und begleitet werden, dies ist entsprechend zu dokumentieren.
Der Gesetzgeber wird gebeten, für Kontrollen im Straßenverkehr ein geeignetes Nachweisdokument vorzusehen.“
Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
Cannabis-Patienten als Autofahrer: "Was der Gesetzgeber da zugelassen hat..." (Spiegel Online)
Wann dürfen Cannabis-Patienten Auto fahren? (NDR.de)
DVW-Präsident leitet VGT-Arbeitskreis „Cannabiskonsum und Fahreignung“ (Deutsche Verkehrswacht)
Was bringt Cannabis in der Schmerztherapie? (Wolfenbütteler Zeitung)
Politiker sollen klare Kante zeigen (Weiler Zeitung)
Dieser Mann will Deutschland high machen (Stern.de)
Hanf soweit das Auge reicht: Bio-Hof baut Cannabis an (nordbayern)
Wann Anspruch auf Cannabis auf Kassenrezept besteht (VersicherungsJournal.de)
Bad Bramstedt bekommt tonnenschweren Cannabis-Tresor (Hamburger Abendblatt)
Cannabis – Wie verbreitet ist das neue Heilmittel im Vogelsberg? (Lokalo24.de)
Cannabis als Medizin: Legale Drogendealer machen Deutschland high (dw.com)
Cannabis-Freigabe: Grüne, Linke und FDP fordern Modellprojekte (inFranken.de)
Kanadische Firmen gründen weltgrößten Kiffer-Konzern (Spiegel Online)
Cannabis-Fusion begeistert Aktienkäufer (Frankfurter Allgemeine)
Cannabis-Bunker im Auenland? (zdf.de)
Marihuana als Schmerzmittel genutzt – Gericht verlangt offizielle Therapie mit Medizinprodukt (Husumer Nachrichten)
Veranstaltungen 2020
Alle Informationen zu den IACM Online Events inklusive kostenlose Videos der Webinare mit deutschen Untertiteln finden Sie hier.
IACM-Konferenz 2022
Die 12. IACM-Konferenz zu Cannabinoiden in der Medizin wird am 20. und 21. Oktober 2022 zusammen mit der Schweizerischen SSCM in Basel/Schweiz stattfinden.
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