ACM-Mitteilungen vom 06. Mai 2017
- Liebe Leserin, lieber Leser,
- Rechtliche Fragen und Antworten zum neuen Gesetz zu Cannabis als Medizin
- Die Erfahrung einer Ärztin mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen
- Presseschau: Krankenkasse lehnt Cannabis-Rezept für Wittener Patientin ab (WAZ)
- Presseschau: Steigende Nachfrage in Apotheken (WAZ)
- Presseschau: Einmal kiffen reicht nicht (Legal Tribune Online)
- Presseschau: Sollte Cannabis als Schmerzmittel legalisiert werden? (Neue Zürcher Zeitung)
- Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
Liebe Leserin, lieber Leser,
Nach 16 Jahren Kampf für Dronabinol auf Rezept – sie hatte ihren Kostenübernahmeantrag im Mai 2001 gestellt – erhielt Ute Köhler nun den Kostenübernahmebescheid für das Medikament von ihrer Krankenkasse. Wir gratulieren herzlich!
Eine weitere gute Nachricht kommt von einer Patientin, die darüber berichtete, dass Ihr Arzt mit der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung gesprochen habe, und dass diese erklärt habe, er könne die Behandlung mit Cannabisblüten als Praxisbesonderheit geltend machen, sodass er keine Strafzahlung erwarten muss. Man kann es also als Arzt versuchen, im Vorfeld eines möglichen Regresses diese Frage mit der kassenärztlichen Vereinigung zu klären.
Zu diesem Thema gibt es aber auch Negativbeispiele. So heißt es in einem Schreiben der AOK an einen Patienten, der eine Kostenübernahme für Cannabisblüten erhalten hat: „Die Verantwortung für die Verordnung dieses Cannabis-Produktes unter Abwägung von möglichem Nutzen und möglicher Nebenwirkungen sowie Berücksichtigung von Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit liegt beim verordnenden Arzt.“ Damit unterstreicht die Krankenkasse ausdrücklich, dass obwohl die Krankenkasse die Kosten aufgrund fehlender Therapiealternativen erstattet, ein möglicher späterer Regress nicht ausgeschlossen ist. So wird versucht, Ärzten Angst einzujagen.
Um systematisch Erfahrungen von Patienten mit dem neuen Gesetz zu sammeln, haben wir eine Webseite mit einem Fragebogen eingerichtet. Es wäre schön, wenn sich möglichst viele Patienten beteiligen, damit wir einen guten Überblick bekommen, um auf dieser Basis gute Entscheidungen für unsere weitere Arbeit treffen zu können.
Ein Aspekt ist die Verfügbarkeit von Cannabisblüten. Meistens sind nicht alle in Deutschland grundsätzlich zum Verkauf in Apotheken freigegeben Sorten lieferbar. Im deutschen Forum auf der IACM-Webseite haben wir am 4. Mai damit begonnen, möglichst tagesaktuell eine Übersicht zu geben, welche Sorten nicht lieferbar sind. Wir können natürlich keine Gewähr für die Richtigkeit geben, da sich Änderungen von Tag zu Tag ergeben können. Die Informationen erhalten wir von einem Apotheker, der die Verfügbarkeit täglich abfragt und die Informationen an uns weiterleitet.
Ein weiterer Aspekt ist die Kostenentwicklung der Cannabisblüten in den Apotheken. Dazu hat die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage gestellt. Die Antworten werden wir voraussichtlich in den nächsten ACM-Mitteilungen abdrucken können.
Durch das neue Gesetz ergeben sich eine Anzahl juristischer Fragen. Wir haben daher Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein aus Hamburg gebeten, Fragen zu beantworten, die im Verteiler des SCM (Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin) der ACM aufgetaucht sind. Die Fragen und Antworten finden sich in dieser Ausgabe der ACM-Mitteilungen. Einige Antworten fallen deutlich aus, einige Fragen sind allerdings nicht ganz eindeutig zu beantworten.
Wer die ACM finanziell unterstützen möchte, hat jetzt eine weitere Möglichkeit. Wer über Amazon Bücher bestellt kann sich über diesen Link einloggen, sodass ein kleiner Betrag des Einkaufs direkt an die ACM fließt.
Wir erfahren immer wieder, dass es innerhalb der Krankenkassen bzw. des MDK interne Richtlinien im Umgang mit dem neuen Gesetz gibt. Wir versuchen, möglichst an alle diese Informationen zu gelangen. Hier ein Beispiel über „Frag den Staat“ mit einer Frage an den Verband der gesetzlichen Krankenkassen.
Zur Fortbildung für Ärztinnen und Ärzte in Frankfurt am 13. Mai haben sich bisher etwa 190 Personen angemeldet. Dies zeigt das große Interesse in Teilen der Ärzteschaft. In den angemieteten Saal passen bis zu 240 Personen, sodass wir vermutlich nahezu ausverkauft sein werden.
Am Tag zuvor führt die ACM ihre Mitgliederversammlung durch und feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Alle ACM-Mitglieder haben eine Einladung bekommen und sind herzlich eingeladen.
Ich freue mich auf unser ACM-Treffen am 12. Mai in Frankfurt.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Rechtliche Fragen und Antworten zum neuen Gesetz zu Cannabis als Medizin
Das neue Gesetz wirft für alle Beteiligten häufig rechtliche Fragen auf. Wir haben aus diesem Grund einige häufig auftauchende Fragen zusammengestellt und Dr. Oliver Tolmein, Rechtsanwalt aus Hamburg, der sich seit Jahren mit dieser Thematik befasst, gebeten, diese zu beantworten. Hier Auszüge aus einem Antrag auf eine einstweilige Anordnung vor einem Sozialgericht gegen die Ablehnung einer Kostenübernahme.
Regress und Richtgrößen
Frage: Mein FA Allgemeinmedizin unterstützt mich beim Antrag.
Er hat sich bei der KV-Hessen erkundigt, ob er Cannabis verschreiben darf. Diese sagte ihm: "Klar darfst du das, es geht nur in dein Budget". Wir sind uns unsicher, ob die Zusage der KK auch bedeutet, dass bei einer Richtgrößenprüfung (dazu kommt es durch die Verordnung sicher, durch das Überschreiten des Praxisbudgets) auch die Leistung anerkannt wird. Mein Arzt ist sehr verunsichert. Auf Privatrezept wird er weiter verschreiben, aber ich bin ja gerade in der Sozialklage weil es mir zusteht.
Antwort: Die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte ist ein kompliziertes Verfahren, das dadurch zusätzlich schwierig wird, als die Überprüfungen und damit eventuell verbundene Regressforderungen oft erst nach Jahren zum Tragen kommen. Die wichtigste und strengste Überprüfungsart ist die Richtgrößenprüfung. Das Problem ist hier eine Abhängigkeit der Richtgrößenvereinbarungen von KV-Besonderheiten. Mit Blick auf Cannabis-Verordnungen ist es so, dass diese grundsätzlich in die Wirtschaftlichkeitsüberprüfungen einbezogen werden. Ärzte, die durch Verordnung von Cannabis als Medizin besonders hohe Ausgaben verursachen, müssen also, wollen sie dem Regress entgehen, eine Praxisbesonderheit geltend machen.
In der Praxis verhält es sich nun so, dass in einigen Prüfvereinbarungen insbesondere innovative, häufig kostspielige, aber dennoch wirtschaftliche Arzneitherapien in Anlagen aufgeführt sind, die automatisch als Praxisbesonderheit berücksichtigt werden sollen (sog. „Anlagen-Praxisbesonderheiten“). Dies gilt z. B. für die Interferon-Therapie der Multiplen Sklerose. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich dabei nicht um einen abschließenden Katalog von Praxisbesonderheiten. Noch nicht verbindlich geklärt ist aber, welche Art von Praxisbesonderheiten daneben Anerkennung finden muss. Cannabis ist keine Anlagen-Praxisbesonderheit. Hier müssen Ärzte also selber vortragen, was angesichts der Kritik der Kassen und der Skepsis auch der KV an der Verordnung von Cannabis als Medizin sicher nicht einfach werden wird, möglicherweise aber wegen des Genehmigungsverfahrens für Cannabis vor der Ausführung der Verordnung dennoch Chancen haben kann.
Die Begründung teurer Arzneiverordnungen als Praxisbesonderheit kann nicht für alle Praxisbesonderheiten pauschal erfolgen. Vielmehr ist sie im Hinblick auf die einzelne Praxisbesonderheit zu erstellen und dann für sämtliche dieser Fälle zu standardisieren. Soll z. B. Cannabis als innovatives Medikament als Praxisbesonderheit geltend gemacht werden, dann ist die Verordnung für sämtliche zur Praxisbesonderheit gehörenden Fälle zu dokumentieren. Dann muss der Vertragsarzt die bei dem individuellen Patienten die Wirtschaftlichkeit begründenden Umstände für jeden einzelnen Fall darlegen. Dies kann durch standardisierte Begründungen erfolgen, denen Kennziffern zugeordnet werden, z. B.:
- Verträglichkeit
- Kontraindikation (Diagnosen und Komedikation)
- Nebenwirkungen
- therapeutisch ausgereizt (second line, Therapie der zweiten Wahl)
- Fortführung stationärer Therapie
Das können die Gründe sein, die überhaupt für die Zulässigkeit der Verordnung entscheidend sind – aber wie gesagt: das sind Argumente, das ist keine geklärte Rechtslage (und kann es auch nicht sein).
Voraussetzungen für eine Therapie durch einen privatärztlichen Arzt
Frage: Wenn man nachweisen kann, dass man eine Anzahl von Psychiatern mit Kassenzulassung angesprochen hat, diese aber keine Zeit haben, die Therapie durchzuführen, dann kann man auch von einer gesetzlichen Krankenkasse die Behandlungskosten für einen privatärztlich tätigen Arzt erstattet bekommen. Wenn das im Bereich Cannabis als Medizin auch der Fall wäre, wäre das sicherlich für viele Patienten hilfreich, die jetzt bei privatärztlich tätigen Ärzten (Milz, Grotenhermen) in Behandlung sind. Dann stellt sich die Frage, wie viel Ärzte muss ein Patient wie intensiv konsultiert haben.
Antwort: Nach § 13 Abs 3 SGB V muss die Krankenkasse Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung erstatten, wenn „eine unaufschiebbare Leistung“ nicht rechtzeitig erbracht werden konnte – das könnte bei den psychiatrischen Behandlungen der Fall sein. Bei der Verordnung von Cannabis als Medizin liegt der Fall aber meines Erachtens anders, weil die konsultierten Ärzte ja nicht keine Leistung erbringen werden, sondern statt Cannabis eine andere Medikation oder Maßnahme ergreifen werden (oder wollen). Das wird insofern kaum als Fall der unaufschiebbaren Leistung, die nicht erbracht worden ist, anerkannt werden. Dass Gerichte, insbesondere das Bundessozialgericht, das anders sehen, halte ich für nahezu ausgeschlossen. Im Ergebnis: Cannabis wird von zugelassen Vertragsärzten verschrieben werden müssen.
Besteht unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin eine Notfallsituation?
Frage: Genauso würde mich die Frage interessieren, wie viel ein Patient unternehmen muss, wie etwa Klagen vor den Sozialgerichten, bevor er eventuell unter Notstandsgesichtspunkten vermutlich Cannabis selbst anbauen darf.
Antwort: Insbesondere wenn die Kassen das Gesetz so behandeln wie es sich derzeit abzeichnet, wird man auch weiterhin Notfall-Situationen haben können. Das Problem dabei ist aber: man wird erst versuchen müssen, die Sozialgerichte zu mobilisieren. Ein Szenario könnte meines Erachtens so aussehen:
Patientin hat eine Sondererlaubnis nach § 3 BtmG bekommen, Kassenärztin verordnet Cannabisblüten, Kasse lehnt ab, Eilantrag-Verfahren (Antrag auf einstweilige Anordnung der Kostenübernahme für Cannabis durch die Krankenkasse) vor dem Sozialgericht (1. Instanz) geht verloren, Beschwerde vor dem Landessozialgericht (2. und letzte Instanz im Eilverfahren) dringt nicht durch, Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht läuft (geschätzte Dauer 3 – 5 Jahre), dann wird gleichzeitig mit der endgültigen Ablehnung des Eilantrages bei den Sozialgerichten Antrag bei der Bundesopiumstelle gestellt auf Eigenanbau. Die lehnen ab oder lassen sich Zeit. Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln (Antrag auf einstweilige Anordnung der Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis) ….. Das Problem ist, dass hier das gleiche rechtliche Problem (Therapiealternativen, schwerwiegende Erkrankung) von zwei Gerichtsbarkeiten (Sozialgerichte und Verwaltungsgerichte) möglicherweise mit unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben geprüft werden muss (zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass nach Abschluss des Eilantrag-Weges vor den Sozialgerichten auch an einen Antrag auf einstweilige Anordnung – entweder auf Kostenübernahme oder auf Eigenanbau - vor dem BVerfG zu denken wäre…. => hier werden wir ggf. Musterverfahren führen müssen und das wird nicht ganz einfach).
Frage: Welche rechtlichen Möglichkeiten bieten sich Patienten, die zwar die rechtlichen und medizinischen Voraussetzungen für eine Behandlung mit Cannabis erfüllen, jedoch keinen Arzt (weder mit Kassenzulassung, noch privat-ärztlich) finden, der bereit ist diese Behandlung durchzuführen? Gibt es im oben genannten Fall die Möglichkeit über einen Antrag auf einstweilige Anordnung den Selbstanbau (oder eine andere sofortige Abhilfe) durch zu setzen?
Antwort: Eher Nein. Auch im gewonnenen Verfahren vor dem BVerwG kam es entscheidend darauf an, dass ein Arzt Cannabis als Therapie für erforderlich gehalten hat. Dass ein Patient für sich entscheidet: es geht nur mit Cannabis, reichte für den Eigenanbau schon bislang nicht aus und künftig erst recht nicht.
Kostenerstattung eines Privatrezeptes durch gesetzliche Krankenkasse
Frage: Darf ich als Kassenpatient mit privatem BtM-Rezept und vorab erteilter Genehmigung für die Therapie mit Cannabis durch die Krankenkasse, von einem Rechtsanspruch gegenüber der Krankenkasse auf volle Kostenübernahme des Privatrezeptes ausgehen?
Antwort: Nein. Die Fallkonstellation kommt mir auch theoretisch vor. Nach meiner Auslegung des § 31 Abs 6 SGB V prüft die KK „bei der ersten Verordnung“ ob die Genehmigung erteilt wird. Die erste Verordnung nach dem SGB V ist aber wohl als eine kassenärztliche Verordnung zu verstehen (es sei denn der Patient hat bei seiner gesetzlichen Versicherung Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt. Dann können auch Privatärzte nach vorheriger Genehmigung durch die Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Das Verfahren nach § 13 Abs 2 SGB V ist kompliziert und birgt Risiken in sich, weil die Kasse hier nicht die vollen Kosten erstattet, sondern nur die, die ihr selbst entstanden wären (nach Abzug von Rabatten etc.). (Das im Detail zu prüfen wäre eine eigene Aufgabe, ich nehme aber an, dass das nur für wenige Patienten ein guter Weg wäre, und vor allem führt er nicht zu dem, was wir ja eigentlich wollen: eine reguläre Kassenleistung Cannabis als Medizin).
Taktisches Vorgehen beim Kostenübernahmeantrag
Frage: Gibt es eine rechtliche Möglichkeit, die Genehmigungsverfahren bei der Krankenkasse effizienter zu betreiben und es den Kassen schwieriger zu machen, 'die Zugangsschwelle zu erhöhen' (sprich Anträge auf interne Weisung im 1. Anlauf wenn irgendwie möglich abzulehnen und erst nach einem Widerspruch ernsthaft zu prüfen?). Wie baue ich hier als Patient mehr rechtlichen Druck auf und verhindere 'ein Spiel auf Zeit' und erspare mir möglichst das Widerspruchsverfahren?
Antwort: Das kann man pauschal schwer sagen. Wichtig ist, dass die gesetzlichen Voraussetzungen von den Ärzten gut begründet werden. Dabei ist zu bedenken, dass es zwei Varianten für die Verordnung von Cannabis als Medizin im Gesetz gibt:
§ 31 Abs 6 Nr 1 a): Eine Krankheit, für die es eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (überhaupt) nicht gibt => das heißt keine Behandlungsleitlinien, keine zugelassenen, allgemein anerkannten medikamentösen Therapien etc. (Das wird der seltenere Fall sein.)
§ 31 Abs 6 Nr. 1 b): Für die Krankheit gibt es zwar eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie. Diese kann im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärzte unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der Versicherten nicht zur Anwendung kommen. (Das wird die häufiger vorkommende Konstellation sein.)
Hier hilft es enorm, wenn der Arzt folgendes beachtet/ darstellt:
- Hinweis auf die Verordnung nach § 31 Abs 6 Nr. 1 b SGB V (die Kassen begründen sonst ihre Ablehnung gerne damit, dass ein Fall des § 31 Abs 6 Nr. 1 a SGB V nicht vorliegt)
- Krankheitszustand beschreiben (wodurch schwerwiegend, wie sind die Auswirkungen, warum bzw. inwieweit wird die Belastung des Patienten dadurch erheblich herabgesetzt)
- Benennen welche Standardtherapie(n) versucht worden ist (sind)
- Benennen zu welchen Nebenwirkungen/ Komplikationen/ Unverträglichkeiten es dabei gekommen ist
- Und/oder: Warum sind vielleicht auch nicht so gravierende Nebenwirkungen angesichts der Krankheitszustandes (Labilität des Patienten durch langjährige schwere Erkrankung), sonstige psychische Komponenten, Vulnerabilität auf körperlicher Basis etc.) nicht zu tolerieren.
Im Fall der ersten Variante (§ 31 Abs 6 Nr. 1a ): Darstellung, dass es keine allgemein anerkannte Standardtherapie gibt, Erläuterung der Gründe warum Cannabis vermutlich hilft.
Optimales Vorgehen beim Widerspruch gegen eine Kostenablehnung durch die Krankenkasse
Frage: Im Falle des Widerspruchsverfahrens, wie formuliere ich einen möglichst effizienten Widerspruch, der mir alle Rechtsmittel offen hält und mir möglichst kurzfristig die Anwendung weiterer Rechtsmittel (einstweilige Anordnung) erlaubt?
Antwort: Einen Eilantrag (der formal korrekt Antrag auf einstweilige Anordnung heißt) kann man immer nach Ablehnung des Antrags durch die Krankenkasse zeitgleich mit Widerspruch gegen diesen ablehnenden Bescheid stellen. Meines Erachtens ist im Eilantrag-Fall, für den ja auch Prozesskostenhilfe beantragt werden kann, eine anwaltliche Vertretung sinnvoll. Hier sollte Wert auf eine umfassende und glaubhaft gemachte Darstellung der medizinischen Situation, der sozialen Folgen und der Schwere der Erkrankung gelegt werden. Außerdem muss dargestellt werden, dass es Eilbedarf gibt und man Cannabis nicht selbst bezahlen kann.
Frage: Gibt es eine Frist, wie lange sich die Kassen für die Entscheidung über einen Widerspruch Zeit lassen kann?
Antwort: Nach § 88 Abs 2 SGG: 3 Monate. Danach kann man Untätigkeitsklage erheben. Einen Eilantrag kann man aber bereits ab Ablehnung des Antrags durch die Krankenkasse bei Gericht stellen. Man muss also nicht das Ergebnis des Widerspruchsverfahrens abwarten (zumal Widerspruchsverfahren bei Krankenkassen ohnehin oft damit enden, dass der ablehnende Bescheid der ersten Instanz bestätigt wird).
Frage: Was sind typische rechtliche Formfehler (Einhaltung von Fristen und Formalitäten) der Kassen und des medizinischen Dienstes, welche das Verfahren für den Patienten rechtlich angreifbar machen? Welche Rechtsmittel sind hier geeignet?
Antwort: Formalitäten geben typischerweise nie Anlass die Entscheidung der Kassen aussichtsreich anzugreifen (der nichtige Verwaltungsakt ist anders als viele meinen, eine absolute Rarität. Selbst fehlende Begründungen können nachgeholt werden).
Anders sieht es mit Fristen aus. Hier ist § 13 Abs 3a SGB V einschlägig (bzw. für SAPV-Patienten: die 3 Tagesfrist aus § 31 Abs 6 SGB V)
§ 13 Abs 3a SGB V sieht vor:
- Antragseingang + 3 Wochen = Entscheidungsfrist Krankenkasse
- Eingang von Antrag, über den der MDK befinden muss + 5 Wochen = Entscheidungsfrist Krankenkasse (Versicherter muss über Einholung eines Gutachtens beim MDK informiert werden).
- Kann die KK eine der Fristen (3 Wochen, 5 Wochen) nicht einhalten muss sie das (vor Ablauf der Frist) mitteilen und Gründe darlegen.
- Erfolgt keine Mitteilung oder gibt es keine hinreichenden Gründe, gilt die Leistung als genehmigt. Rechtsfolge: Entweder der Betroffene beschafft sich Cannabismedikamente mit einem Privatrezept in der Apotheke selbst und bekommt Kosten erstattet oder die Krankenkasse muss die Sachleistung erbringen. Das muss dann aber in der Regel in einem gesonderten Verfahren eingeklagt werden. (z.B. BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 25/15 R ; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2017 – L 5 KR 141/17 ER –; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02. März 2017 – L 5 KR 277/16 => beim BSG anhängig)
Rechtmäßigkeit der Forderung nach Evidenz der Wirksamkeit von Cannabis bei einer bestimmten Erkrankung
Frage: Ist es rechtlich zulässig, dass Kassen in den Arztfragebögen teilweise Studien fordern und dieselben dann oft vom MDK nicht anerkannt werden, wenn doch der Arzt laut Gesetz entscheiden kann, ob er die Therapie für sinnvoll hält?
Antwort: Für die Genehmigung nach § 31 Abs 6 SGB V ist die Frage nicht unzulässig, aber die Antwort „Nein“ kann die Ablehnung der Genehmigung nicht (allein) begründen. Die Frage stammt aus der Genehmigung des Off-Label-Uses. Aber um den geht es in § 31 Abs 6 SGB V nicht – bzw. ist es eine gesetzlich gesondert geregelte Kostenübernahme im No-Label-Use, die nach § 31 Abs 6 Nr. 2 SGB V nur verlangt, dass „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“ Die muss begründet werden. Das kann durch Studien geschehen (ist natürlich am günstigsten), aber eben auch durch andere Gründe (z.B. eine in diesem Sinne erfolgreiche Therapie vor In-Kraft-Treten von § 31 Abs 6 SGB V).
Wann liegt eine schwerwiegende Erkrankung vor?
Frage: Auch wird offenbar die Definition der "schwerwiegenden Erkrankung" von den Kassen gerne zu Ungunsten der Patienten ausgelegt. So wird meines Wissens das Restless-Legs-Syndrom nicht als schwerwiegende Erkrankung anerkannt. Nicht nur Betroffene wissen, dass hier sehr wohl "eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die aufgrund der chronischen Erkrankung verursachte Gesundheitsstörung zu erwarten ist".
Antwort: Der Begriff der „schwerwiegenden Erkrankung“ ist durch den Gesetzgeber nicht definiert. Er wird allerdings in verschiedenen Regelungen verwendet und ist daher ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung von den Gerichten voll überprüfbar ist.
Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich, dass der Bezugsrahmen für den im § 31 Abs 6 SGB V verwendete Begriff der „schwerwiegenden Erkrankung“ § 62 SGB V ist. Im Referentenentwurf für das „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ des Bundesministeriums für Gesundheit mit Bearbeitungsstand vom 7.1.2016 16:11 Uhr heißt es in Artikel 4:
„Versicherte mit einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung (§ 62 Abs 1 Satz 8) haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten…“
Eine schwerwiegende chronische Krankheit liegt nach § 2 Abs. 2 der „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Definition schwerwiegender chronischer Krankheiten im Sinne des § 62 SGB V“ vor, „ […] wenn sie wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (Dauerbehandlung) und eines der folgenden Merkmale vorhanden ist […] b) es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 vor)[…] nach den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG oder 65 Abs. 2 SGB VII festgestellt und zumindest auch durch die Krankheit nach S. 1 begründet sein muss.“
Hierzu ist anzumerken, dass der Gesetzgeber diese zunächst vorgesehene Regelung in § 31 Abs. 6 SGB V nicht weiter verfolgte, da den Betroffen nicht zugemutet werden sollte, mindestens ein Jahr abzuwarten, bis die entsprechende Medikation indiziert sei.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Begriff schwerwiegende Erkrankung im Kontext des, in vielerlei Hinsicht speziellen, § 31 Abs. 6 SGB V normspezifisch auszulegen ist. § 31 Abs. 6 SGB V trifft speziell in Hinblick auf das Medikament Cannabis eine abweichende Regelung von den für gewöhnlich nach dem SGB V anzulegenden Evidenzanforderungen.
Damit muss in der Auslegung des Begriffs der schwerwiegenden Erkrankung auch auf die spezifische Wirkung von Cannabis als Medizin abgestellt werden. Bei der Behandlung mit Cannabis steht dabei insbesondere die Linderung von Symptomen, welche – wie etwa die Schmerzen eines Antragstellers – die Lebensqualität erheblich einschränken, im Vordergrund.
„Schwerwiegende Erkrankung“ muss daher im Kontext des § 31 Abs. 6 SGB so ausgelegt werden, dass es vor allem um eine Einschränkung der Lebensqualität geht. Medizinisches Cannabis verbessert vordergründig die Lebensqualität der Patientinnen durch Verminderung der Symptome, beispielsweise von Schmerzen oder Appetitlosigkeit (so auch die Homepage des Bundesgesundheitsministeriums: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/c/cannabis/faq-cannabis-als-medizin.html#c1537; abgerufen am 22.04.2017 um 13:00 Uhr.) - damit ist vordergründig auf die Symptome abzustellen.
Dies wird auch durch den Gesetzeswortlaut und die Gesetzesbegründung deutlich, die eindeutig auf den Nutzen hinsichtlich der Symptome abstellen und nicht, wie insbesondere § 2 Abs 1a SGB V auf eine Heilung der Krankheit bzw. eine Einwirkung auf deren Verlauf (Bundestagsdrucksache 18/8965, S. 21 Abs. 3).
Aus dem Kontext des Gesetzesentwurfes wird zudem deutlich, dass der Gesetzgeber als Zielgruppe insbesondere auch die Patienten im Blick hatte, die bereits zum Zeitpunkt des Erlasses eine Sondergenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG inne hatten (Vgl.: Ausführungen zu den Kosten in Bundestagsdrucksache 18/8965 „Wird die am 5. April 2016 bestehende Zahl von Ausnahmeerlaubnissen des BfArM für 647 Patientinnen und Patienten zugrunde gelegt, ergäben sich Kosten für die GKV […]“ (S. 16, 5. Abs.); „Für Bürgerinnen und Bürger, die eine medizinische Therapie mit weiteren Cannabisarzneimitteln benötigen, entfällt zukünftig die bisherige eigene Kostentragung für getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte nach Maßgabe der zukünftigen Erstattungsregelungen des SGB V“ (S. 16, 6. Abs.). Diese Gruppe war Ende 2016 auf etwa 1000 Patienten angewachsen, die so unterschiedliche Krankheitsbilder wie schwere chronische Schmerzen, Depression, Darmerkrankungen, Spastiken, das Tourette-Syndrom oder Epilepsien aufwiesen.
Bei der Anhörung des Gesetzentwurfes im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages spielte zudem die Frage der Genehmigung einer Erstverordnung durch die gesetzlichen Krankenkassen eine wichtige Rolle. Einige Experten äußerten die Befürchtung, dass die Gesetzliche Krankenversicherung die Genehmigungserfordernis nutzen könnten, die geplante Regelung zu unterlaufen (vergleiche Wortprotokoll der 87. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit am 21. September 2016).
Der Gesetzgeber strich die Genehmigungserfordernisse zwar nicht, ergänzte den vorgelegten Wortlaut aber um die Regelung, dass eine ärztlich verordnete Behandlung mit medizinischem Cannabis nur abgelehnt werden darf, wenn ein begründeter Ausnahmefall vorliegt. Nach der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses, soll durch den Abs. 6 S. 2 so „[…] die Versorgung von Versicherten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch den Anspruch auf Cannabis nach S. 1 verbessert werden. Die Genehmigungsanträge bei der Erstversorgung der Leistung sind daher nur in begründeten Ausnahmefällen von der Krankenkasse abzulehnen. Damit wird auch der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin Rechnung getragen.“ (Bundestagsdrucksache: 18/10902).
Übernahme der Kosten eines Verfahrens vor dem Sozialgericht
Frage: Wer trägt die Kosten für Cannabis, wenn ein Sozialgericht die vorläufige Kostenübernahme im Eilverfahren anordnet, im Hauptverfahren dann aber anders entscheidet?
Antwort: Das hängt vom Tenor der Entscheidung im Eilverfahren ab. Z.B. regelte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in einem neueren Verfahren:
„Die Antragsgegnerin wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren verpflichtet, die Kosten für die Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen ab dem 12. Mai 2015 vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung im Fall des Obsiegens im Hauptsacheverfahren zu übernehmen.“ (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. September 2015 – L 4 KR 276/15 B ER –)
=> Damit ist die Rückforderung möglich. Wenn der Vorbehalt nicht gemacht wird: nein. Das Risiko einer Rückforderung ist dennoch nicht groß, zum einen haben die meisten Patienten das Geld nicht, um den Rückforderungsanspruch zu befriedigen, zum anderen kann die Krankenkasse bei der Rückforderung viele Fehler machen.
Formfehler in der Ablehnung einer Kostenübernahme
Frage: Formfehler - Im Betreff des ablehnenden Bescheids steht: „Ihr Antrag auf Kostenübernahme für cannabishaltige Medikamente vom 15.03.2017.“ Mein Antrag war aber vom 17.02.2017. Ist dieser Bescheid rechtlich wirksam und beginnen damit Fristen zu laufen, wie z.B. die Widerspruchsfrist? Kann ich aus diesem Formfehler eine Genehmigungsfiktion ableiten?
Antwort: Schwer zu sagen: Ist es ein Schreibfehler (dann nein), oder geht die Gegnerin vom einem anderen Antrag aus (dann ja). Grundsätzlich eher: Nein. Das „Ja“ anzunehmen birgt jedenfalls ein hohes Risiko in sich. Wenn man zu Unrecht annimmt, die Genehmigungsfiktion sei eingetreten, steht man am Ende mit etwas Pech ohne Medikament da oder mit Kosten, die man doch selbst bezahlen muss.
Verhalten bei einer Genehmigungsfiktion
Frage: Was muss ich tun, wenn ich von einer Genehmigungsfiktion ausgehe?
Antwort: Entweder zur Apotheke gehen, das Rezept einreichen und Cannabis bekommen. (Problemlos)
Wenn das nicht klappt: Privatrezept besorgen: Cannabis kaufen. Einreichen und Erstattung verlangen. Das ist aber immer ein gewisses Risiko (wurden die Fristen richtig berechnet?)
Bei der Krankenkasse Sachleistung beantragen unter Verweis auf Genehmigungsfiktion (und die entsprechenden Urteile, die man auch als ständige Rechtsprechung bezeichnen kann: BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 25/15 R ; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10. März 2017 – L 5 KR 141/17 ER. Gegen eine evtl. erfolgende Ablehnung klagen. (Sicher, aber aufwändig und zeitraubend)
Übertragbarkeit der Genehmigung für verschiedene cannabisbasierte Medikamente und Blüten
Frage: "Dronabinol ist ein anderer Name für THC und ist in Cannabisblüten enthalten. Wird Dronabinol beantragt und genehmigt, kann wahlweise Dronabinol (Tropfen, Kapseln etc.) ODER Cannabisblüten verschrieben werden." Richtig oder Falsch?
Antwort: Meines Erachtens falsch. Dronabinol ist ein Rezeptur-Arzneimittel. Cannabisblüten sind Cannabisblüten. Da sich die Krankenkassen zudem vor allem gegen die Blüten-Verschreibungen wenden, ist es besonders kritisch wenn ein Dronabinol-Rezept in ein Cannabisblüten-Rezept umgedeutet wird. Meines Erachtens wird auch der Apotheker das nicht mitmachen.
Soll der Antrag auf Eigenanbau aufrechterhalten werden?
Frage: Derzeit frage ich mich, wie Ihr mit der Forderung des BfArM, den Antrag auf Eigenanbau zurück zu ziehen umgeht? Nachdem sich meine Arztsuche (Kassenarzt) als sehr schwierig gestaltet, möchte ich mich über den Anbau weiter selbst versorgen. Es erscheint mir als nicht sinnvoll, den Antrag zurück zu ziehen, da er mir als Nachweis meiner Bemühungen zur legalen Versorgung dient. Parallel sammele ich schriftliche Absagen, bezüglich der Behandlung mit Cannabis, von den ablehnenden Ärzten. Einen Antrag auf Kostenübernahme habe ich ebenfalls bei der BKK Daimler gestellt (MDK wurde eingeschaltet). Sie bestehen auf einen Kassenarzt und dessen Begleitung bzw. ein neues Attest. Ich habe das alte Attest (an die BfArM) von Dr. Grotenhermen (2013) eingereicht, einen formlosen Antrag gestellt und die Ausnahmegenehmigung eingereicht.
Antwort seitens BKK auf meinen Widerspruch zum benötigten Kassenarzt steht noch aus. Dr. Grotenhermen hat mir geraten den Widerspruch damit zu belegen, dass ich der Antragsteller bin und nicht zwingend einen Kassenarzt für die Sache brauche. Ist dies ausreichend?
Antwort: Den Antrag auf Eigenanbau nicht zurückzuziehen, wenn keine Alternativversorgung da ist, kann sinnvoll sein. Aber meines Erachtens bringt es eher wenig bis nichts, denn die Rechtslage hat sich durch die Einführung von § 31 Abs 6 SGB V geändert und man braucht deswegen eigentlich ein neues Verfahren. In dem kann es schwierig sein, wenn es keinen Kassenarzt gibt, der Cannabis verschreibt (siehe Szenarien oben).
Kostenübernahme durch Kasse braucht ein Kassenrezept. Ob man zwingend einen Kassenarzt braucht, um die Genehmigung für die Kostenübernahme zu erhalten, die der Kostenübernahme für das Rezept vorgeschaltet ist, klärt das Gesetz nicht ausdrücklich. Grundsätzlich sollte es nicht ausgeschlossen sein, denn ob die Voraussetzungen für die Genehmigung der Cannabis-Verordnung vorliegen, kann natürlich auch ein Arzt klären, der nicht Vertragsarzt ist. Aber darüber könnten die Krankenkassen eventuell streiten, und wie es Sozialgerichte beurteilen, erscheint mir unsicher. Deswegen ist es vorzugswürdig und an sich sinnvoll von vornherein zu versuchen, einen Kassenarzt dabei zu haben.
Wann ist die Einschaltung des MDK zulässig und kann es gemacht werden, ohne es zu begründen?
Frage: Im Gesetz steht eine Frist von 3 Wochen und 5 Wochen mit MDK. Ich würde gerne klären lassen, ob für Ausnahmegenehmigungsinhaber die Einschaltung des MDK überhaupt zulässig ist. Die Ärzte der BfArM haben ja zuvor schon nach viel engeren Gesichtspunkten geprüft, ob der Ausnahmegenehmigungsinhaber berechtigt ist. Somit wäre fraglich, ob die Kasse ohne Angabe eines triftigen Grundes (also z.B. widersprüchliche Dokumente, die im Genehmigungsverfahren eingereicht wurden) überhaupt den MDK einschalten muss oder sie hierbei schon den Ermessensspielraum außeracht lässt. Die Kasse soll darüber hinaus nach § 31 Abs. 6 nur im Ausnahmefall ablehnen dürfen. Die Frage ist, ab wann die Einschaltung des MDK überhaupt notwendig ist.
Antwort: Die Einschaltung des MDK ist in § 275 SGB V geregelt. Grundsätzlich kann die Krankenkasse den MDK einschalten, wenn sie es für sinnvoll hält. Dagegen können sich Versicherte nicht wehren. Allerdings kann man anbringen, dass die Einschaltung des MDK anders als die Krankenkasse behauptet, in Fällen des § 31 Abs 6 SGB V nicht zwingend erforderlich ist. Es handelt sich nicht um einen Fall des § 275 Abs 2 MDK (dort sind Fälle geregelt in denen der MDK eingeschaltet werden muss).
Frage: Auch wäre interessant zu wissen ob die bloße Einschaltung des MDK (ohne Nennung warum der MDK überhaupt eingeschaltet wurde) überhaupt ein triftiger Grund ist um die 3-Wochenfrist zu überschreiten oder die Kasse die Einschaltung des MDK in Hinblick auf § 13 Abs. 3a SGB V Ihre Bedenken nicht ein wenig genauer gegenüber den Antragsteller äußern müsste. Also die dem Antragsteller die Grundlage warum der MDK eingeschaltet wurde, hätte mitteilen müssen.
Antwort: Die Krankenkasse muss nicht begründen, warum sie den MDK einschaltet. Der Hinweis auf Einschaltung des MDK reicht aus.
Musterbeispiel für ein Vorgehen
Folgenden Musterfall würde ich gerne rechtlich genauer betrachten:
Frage: Patient/Patientin erfüllt die rechtlichen und medizinischen Voraussetzungen laut Gesetz (hier ist noch Raum in der Rechtsauslegung durch die Gerichte!).
Antwort: Ja hier ist Platz, weil es viele unbestimmte Rechtsbegriffe gibt, die ausgelegt werden müssen: „schwerwiegende Erkrankung“, „allgemein anerkannte , dem medizinischen Standard entsprechende Leistung“, „begründete Einschätzung“, „nicht ganz entfernt liegende Aussicht“, „spürbar positive Auswirkung“ etc. pp.
Frage: Patient/Patientin hat die erfolglose Suche nach einem Kassenarzt dokumentiert (kurze Liste mit Name, Telefonnummer, Anrufdatum und Ergebnis, 5-10 lokale Ärzte im Zeitraum von 7-14 Tagen kontaktiert, keine Behandlung möglich).
Antwort: Terminservicestelle der kassenärztlichen Bundesvereinigung in Anspruch genommen? Es reicht nicht, die Ärzte gefragt zu haben: verordnen Sie mir Cannabis….? Die Therapiefreiheit des Arztes gilt auch hier: er darf sich und muss sich sogar ein eigenes Bild von den Behandlungsmöglichkeiten machen…..
Frage: Patient/Patientin stellt selbst, ohne Unterstützung eines Arztes, den Antrag bei der Krankenkasse, um sich, nach der von der Kasse erteilten Genehmigung, privat-ärztlich zu behandeln lassen, sich das Arzthonorar im Kostenerstattungsverfahren (§ 13 Absatz 3 SGB V) erstatten zu lassen und die privaten BtM-Rezepte zur Erstattung bei der Krankenkasse einzureichen.
Antwort: Das wird die Kasse nicht machen. Das Gesetz verlangt: Genehmigung „bei der ersten Verordnung“ – ohne erste Verordnung keine Genehmigung (evtl. reicht auch Ankündigung der Verordnung durch einen Kassenarzt), aber Krankenkasse kann nicht selbst in die Therapie einsteigen und ohne Stellungnahme eines Behandlers beurteilen, ob die entsprechenden Voraussetzungen zur Behandlung mit Cannabis vorliegen oder nicht. Etwas anderes wäre es, wenn ein bereits behandelnder Nicht-Vertragsarzt, also ein Privatarzt, auf Bitten des Patienten/ der Patientin die entsprechenden Voraussetzungen bestätigt und sich hier für den Patienten und dessen Antrag einsetzt,
Frage: Antrag wird abgelehnt oder Fristen überschritten, Patient/Patientin geht zum lokalen Sozialgericht und beantragt dort persönlich einstweiligen Rechtsschutz.
Antwort: In der Konstellation ohne eine ärztliche Befürwortung der Cannabis-Behandlung meines Erachtens aussichtslos. Wenn allerdings die Genehmigungsfiktionen eingetreten sein sollte (Fristen überschritten) könnte das günstiger aussehen.
Frage: Patient/Patientin legt im Sozialgericht den gesamten Schriftverkehr mit der Kasse, seine medizinischen Unterlagen und die Dokumentation der vergeblichen Arztsuche vor.
Antwort: s.o.
Frage: Patient/Patientin gibt im lokalen Sozialgericht mündlich zu Protokoll:
"Die Ablehnung der Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis bzw.
Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V durch die Krankenkasse verletzt mein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erheblich. Ich versichere hiermit an Eides Statt, dass mir aufgrund folgender schwerwiegender Symptome keine weitere Wartezeit zumutbar ist: (Hier einfügen: individuelle Symptome, welche ohne Medikation auftreten, auf medizinische Unterlagen verweisen - es darf kein Zweifel an der Hilfebedürftigkeit bestehen!).
Falls nicht unmittelbar Abhilfe geschaffen wird, werde ich durch den mir entstehenden gesundheitlichen Schaden nicht mehr imstande sein, meine übrigen Grundrechtsgewährleistungen wahr zu nehmen. Ich befinde mich durch diese Rechtsverletzung in einer Notlage, aus der ich mich selbst nicht befreien kann und sehe hierdurch meine Menschenwürde nach Art. 1 GG verletzt. Daher stelle ich hiermit den Antrag auf Erlass einer einstweilige Anordnung zur Verpflichtung der Krankenkasse auf Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis bzw. Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V."
Antwort: Wie gesagt: Das System der gesetzlichen Krankenversicherungen setzt Verordnung voraus, wenn Ärzte andere Therapieoptionen sehen bzw. kein KV-Arzt Cannabis verordnet, ist dieser Zweig ausgereizt. Dann wäre allenfalls auf Eigenanbau Antrag umzusteigen – mit den oben beschriebenen Problemen.
Die Antworten stammen von Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei Menschen und Rechte Hamburg
Die Erfahrung einer Ärztin mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen
Die ACM und meine Praxis erhalten laufend Rückmeldungen von Ärzten und Patienten über ihre Erfahrungen mit dem neuen Gesetz. Meistens sind es nur Einzelerfahrungen. Ich möchte hier einen Auszug aus der E-Mail der Leiterin einer Schmerzambulanz vorstellen. Dieser Brief bestätigt den bisherigen Eindruck, dass sich die Krankenkassen vielfach nicht an die rechtlichen Vorgaben halten und die Ärzte damit mürbe gemacht werden könnten.
„(…)Ich habe jetzt für ca. 10 meiner Patienten in meiner Schmerzambulanz am Krankenhaus XY versucht, Cannabis für die Verschreibung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen zu beantragen. Trotz ausführlicher Beantwortung des standardisierten Fragenkatalogs der Antragsformulare einzelner Krankenkassen ist für so gut wie alle Patienten trotz schwerer Erkrankungen (…) die Kostenerstattung abgelehnt worden und auch bei Patienten die zum Teil schon im Besitz einer Ausnahmegenehmigung zu ärztlich überwachten Cannabis Anwendung waren.
In so gut wie allem Ablehnungsbescheiden der MDK-Gutachter, deren Namen zum Teil nicht genannt wurde oder auch im Telefonat mit einzelnen Krankenkassen nicht zu erfahren waren, war die Begründung der Ablehnung, dass allgemein zur Verfügung stehende Therapiemaßnahmen nicht ausgeschöpft worden seien. Im Fall des organtransplantierten Patienten wurde gefordert, noch Therapieoptionen wie NSAR oder Paracetamol oder Gabapentin einzusetzen (!!!). Die Ablehnung der Kostenübernahme fußte auch auf Richtlinien des so genannten § 31 Abs. 6 SGB V oder einer nicht ausreichenden Schwere der zu behandelnden Schmerzerkrankung.
Der angenommene erleichterte Zugang zu Cannabis scheint offensichtlich nicht gegeben zu sein. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir nützliche Hinweise geben könnten, wie die Krankenkassen zu einer Kostenübernahme veranlasst werden könnten. Denn nach meiner Information kann die Kostenerstattung doch eigentlich nicht mehr so leicht (also "nur in Ausnahmefällen“) abgelehnt werden. Selbst palliative Patienten mit infauster Prognose erhielten keine Kostenerstattung, wenn sie keine Anbindung an ein palliativmedizinisches Zentrum vorweisen konnten. Also irgendetwas scheint da nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Der avisierte erleichterte Zugang zu Cannabis scheint gar nicht zu existieren.(…)“
Presseschau: Krankenkasse lehnt Cannabis-Rezept für Wittener Patientin ab (WAZ)
Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung stellte einen Fallbericht zu einer Kostenablehnung durch eine Krankenkasse vor.
Krankenkasse lehnt Cannabis-Rezept für Wittener Patientin ab
Verena Krüsselsberg hat das Mittel vom Arzt gegen ihre Schmerzen verschrieben bekommen. Die Kosten werden dennoch nicht übernommen.
Mit Qualen kennt Verena Krüsselsberg sich aus: Seit frühester Kindheit leidet die heute 51-Jährige unter Dauer-Schmerzen im ganzen Körper – im Kopf, im Rücken, in den Beinen. Als jetzt Cannabis als Medikament gesetzlich zugelassen wurde, hoffte sie auf Linderung: Ihr Arzt verschrieb es ihr, das Mittel wirkte. Dennoch hat die Krankenkasse die Übernahme der Kosten verweigert. Für die Wittenerin ein „Schlag ins Gesicht“.
Viele, viele Jahre wusste Verena Krüsselsberg nicht, woran sie eigentlich litt. Sie ging von einem Arzt zum andern, versuchte Therapie um Therapie, Arznei nach Arznei – nichts half. Zu den Dauerschmerzen im ganzen Körper kamen massive Schlafstörungen, später dann Depressionen: „Meine Psyche wurde durch die Schmerzen und den fehlenden Schlaf einfach in Mitleidenschaft gezogen“, sagt die Wittenerin. Vor fünf Jahren endlich die Diagnose: Fibromyalgie, chronische Faser-Muskel-Schmerzen mit zahlreichen Symptomen.
„Da war ich plötzlich nicht mehr ich selbst“
Doch das Problem blieb: „Es gibt kein Mittel dagegen.“ Schmerzmittel helfen nicht, Anti-Depressiva will die Kranke nicht auf Dauer nehmen: „Da war ich plötzlich nicht mehr ich selbst.“
Ihren Beruf kann Verena Krüsselsberg seit Jahren nicht mehr ausüben: Sie leitete eine Werbeagentur, doch langes Sitzen am Schreibtisch geht nicht mehr, die kreative Arbeit als Schneiderin in einem Theater machen die Hände nicht mehr mit. „An manchen Tagen weiß ich kaum vom Sofa zu kommen.“ Der Medizinische Dienst stufte sie auf Pflegegrad 3 ein, ein Mitbewohner hilft ihr im Alltag.
Nebenwirkungen blieben völlig aus
Mit der Freigabe von Cannabis schien alles besser zu werden: Nach ersten Versuchen wusste die Wittenerin: Das Mittel hilft ihr. „Ich konnte endlich entspannen, schlafen, mich besser konzentrieren.“ Nebenwirkungen blieben aus. Dennoch lehnte die Techniker Krankenkasse die Übernahme der Kosten ab: „In einem Gutachten heißt es, ich hätte noch nicht alle Therapie-Möglichkeiten ausgeschöpft – aber das stimmt nicht.“ Psycho- und Physiotherapie, Klinikaufenthalt: Alles habe sie versucht. Jetzt werde ihr gar Ausdauersport empfohlen.
„Die Begründung ist eine Unverschämtheit“, sagt die Patientin mit Tränen in den Augen. Die Ablehnung belastet sie. Denn aus eigenen Mitteln kann sie sich das Medikament nicht leisten. Fünf Gramm kosten rund 110 EURo, geschätzt etwa 30 Gramm im Monat würde sie brauchen. „Ich nehme eine niedrige Dosierung, ich will ja keinen Rausch.“
Cannabis hilft bei Tumorschmerz
Von der Krankenkasse lag bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor. Der Wittener Ärztesprecher Dr. Frank Koch versteht allerdings die Ablehnung: „Cannabis ist für uns das Mittel der letzten Wahl, das nur bei bestimmten Krankheiten wie Tumorschmerz eingesetzt wird.“ Fibromyalgie gehöre nicht dazu. „Dafür gibt es einen bunten Strauß von Behandlungsmöglichkeiten, der ausgeschöpft werden kann.“
Verena Krüsselsberg will dennoch weiter für ihr Mittel der Wahl kämpfen: „Es hilft mir, es ist weniger schädlich als Chemie und es ist als normales Medikament zugelassen: Wo ist also das Problem?“
>>>GESETZ TRAT AM 10.MÄRZ IN KRAFT
Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März ist die medizinische Anwendung von Cannabis keine Ausnahmeregelung mehr. Cannabis ist seither verkehrsfähig und kann von jedem Arzt (außer Zahnärzten) verordnet werden.
Mehrere Interessensgruppen kämpfen gegen das Vorgehen der Krankenkassen und die schwierige Arztsuche. Viele hätten bereits Widerspruch eingelegt oder seien vor Gericht gezogen, so die Wittenerin.
Presseschau: Steigende Nachfrage in Apotheken (WAZ)
Es tut sich etwas in deutschen Apotheken. Mit dem neuen Gesetz ist das Interesse an cannabisbasierten Medikamenten deutlich gestiegen, ein weiterer Hinweis auf die bisherige deutliche Unterversorgung der deutschen Bevölkerung mit Cannabismedikamenten.
Steigende Nachfrage in Apotheken
Seit dem 10. März dieses Jahres haben Ärzte in Deutschland die Möglichkeit, ihren Patienten Cannabis auf Rezept zu verordnen. Die wenigen Duisburger Apotheker, die den Stoff derzeit ausgeben, verzeichnen seitdem eine steigende Nachfrage ihrer Kunden.
Der Apotheker möchte seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. „Sonst steht das Telefon nicht still“, sagt er. „Viele sind interessiert an dem Thema: Kunden, Ärzte, die Medien.“ Bereits seit einigen Jahren gibt er schwer kranken Patienten, die austherapiert sind, Cannabis-Arzneimittel heraus. „Bereits vorher war es Patienten mit Ausnahmegenehmigung erlaubt, die es aber selbst zahlen mussten“, erklärt der Apotheker, der die Blüten aus Holland bezieht. „Im Moment ist die Nachfrage hoch, ein-, zweimal in der Woche fragen Kunden danach.“ Die Kosten für die Therapie tragen die gesetzlichen Krankenkassen. „Das Gramm kostet etwa 20 EURo wenn man es privat bezahlt.“
Die meisten seien schwer krank, etwa Krebs-Patienten in Chemotherapie, die starke Schmerzen haben. Ausgegeben werden die Blüten der Pflanze, ganz oder zermahlen, je nachdem welche Dosierung und Darreichungsform der Arzt verschrieben hat. Den meisten Kunden helfe das Cannabis sehr, meint der Apotheker, der weiß, dass kaum ein Arzt in Duisburg Rezepte ausstellt. „Nur wenige trauen sich, weil man nicht weiß, wie die Wirkstoffe genau wirken.“
Presseschau: Einmal kiffen reicht nicht (Legal Tribune Online)
Wer einmal mit THC im Blut am Straßenverkehr teilgenommen hat, verliert nicht automatisch seinen Führerschein.
Eine Fahrt unter Cannabiseinfluss ist für sich genommen noch kein Grund, die Fahrerlaubnis zu entziehen, sagt der Bayerische VGH. Vielmehr sei ein Gutachten nötig. Der Fall sei nicht anders zu bewerten als eine Trunkenheitsfahrt.
Bezweifelt die Behörde nach einer Trunkenheitsfahrt die grundsätzliche Eignung des Fahrers für den Straßenverkehr, muss sie das regelmäßig mit einem medizinisch-psychologischen Gutachten belegen. Nicht anders verhält es sich bei einer Spritztour unter Cannabis-Einfluss, entschied am Dienstag der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH). Die Richter hoben eine entsprechende Verfügung des Landratsamtes Starnberg auf (Urt. v. 25.04.2017, Az. 11 BV 17.33).
Sie gaben damit einem jungen Mann Recht, der einmalig bei einer Fahrt unter Einfluss des Betäubungsmittels Cannabis erwischt worden war. Das zuständige Landratsamt hatte ihm daraufhin kurzerhand die Fahrerlaubnis entzogen und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Zudem musste er eine Geldstrafe in Höhe von 500 EURo zahlen.
Das Landratsamt begründete die Entziehung der Fahrerlaubnis damit, dass der Mann, der gelegentlich Cannabis konsumierte, dies nicht vom Führen eines Kraftfahrzeugs trennen könne. Aus diesem Grund sei er hierfür ungeeignet. Weitere Untersuchungen oder Aufklärungsmaßnahmen erfolgten zuvor nicht.
VGH: Nicht ohne MPU; Revision zugelassen
Hiergegen wehrte sich der Betroffene, scheiterte aber mit seiner Klage zunächst vor dem Verwaltungsgericht (VG) München. In der Berufungsverhandlung bekam er nun jedoch Recht. Die pauschale Beurteilung durch das Landratsamt war nach Auffassung des VGH nicht rechtmäßig. Vielmehr hätte es eine medizinisch-psychologische Untersuchung veranlassen müssen, so der Senat.
Es komme darauf an, ob aus dem Verhalten des Betreffenden der Schluss gezogen werden könne, dass er auch in Zukunft Fahren und Cannabiskonsum nicht trenne. Eine solche Prognose könne im Regelfall nur aufgrund eines entsprechenden Gutachtens getroffen werden, so die Berufungsrichter.
Insofern unterscheide sich die Fahrt unter Cannabis-Einfluss nicht von einer unter Einfluss von Alkohol. Auch hier ist regelmäßig eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) erforderlich, um die Eignung des Verkehrssünders für den Straßenverkehr zu beurteilen.
Damit erhält der junge Mann seine Fahrerlaubnis zunächst einmal zurück. Doch möglicherweise erfährt auch diese Frage demnächst noch höchstrichterliche Klärung: Der VGH ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu. Zeit zur Einlegung hätte die Behörde einen Monat lang.
Bis dahin können Cannabis-Konsumenten das gute Gefühl genießen. Erst jüngst hat der Bundesgerichtshof (BGH) einem von ihnen eine "gehörige Selbstprüfung" vor Fahrtantritt zubgilligt, um den Vorwurf sorgfaltswidrigen Verhaltens abzuwenden.
Presseschau: Sollte Cannabis als Schmerzmittel legalisiert werden? (Neue Zürcher Zeitung)
Auch in der Schweiz wird die medizinische Nutzung von Cannabis diskutiert.
Sollte Cannabis als Schmerzmittel legalisiert werden
Cannabis ist eine Droge – und wird gleichzeitig in der Medizin gegen Schmerzen eingesetzt. Doch Betroffene, die auf die zugelassenen Medikamente verzichten wollen, können sich das Gras nur illegal besorgen. Was tun?
Etwa 10 000 Menschen leiden in der Schweiz an der Nervenerkrankung multiple Sklerose (MS). Gegen die Schmerzen, verursacht durch die Muskelkrämpfe, hilft Cannabis. Das hat 2015 auch das Bundesamt für Gesundheit in einer Studie bestätigt.
Doch MS-Patienten, bei denen die zugelassenen Medikamente nicht wirken oder die lieber auf natürliches Cannabis zurückgreifen wollen, stehen vor einem Problem: Der berauschende Wirkstoff THC ist in der Schweiz verboten. Betroffene müssen deshalb das Gras illegal auf der Strasse besorgen – oder sich vom Arzt das Medikament Sativex verschreiben lassen. Dieses Mundspray wiederum hat auch negative Nebenwirkungen, wie eine MS-Betroffene berichtet.
Erkrankte geraten somit in eine Misere, denn sie sehen sich gezwungen, etwas Illegales zu tun, um ihre Schmerzen zu lindern. Die MS-Gesellschaft hat es sich darum zum Ziel gesetzt, in Bezug auf Cannabis einen Mentalitätswandel in der Gesellschaft herbeizuführen: Die Pflanze soll vor allem als Medikament gelten und nicht mehr als Droge.
Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
:Das sozialgerichtliche Eilverfahren ohne anwaltliche Vertretung (Anwalt.de)
Cannabis-Abverkauf in Neubau sorgte für lange Warteschlangen (Kurier.at)
Schluss mit den Mythen! Jetzt spricht ein Arzt über Cannabis-Medizin (Orange)
Psychiatrie-Kongress: Keine Cannabis-Freigabe über die medizinische Anwendung hinaus (Pressetext)
Eilantrag im Sozialrecht (Sozialrecht-rosenow.de)
Nüchterne Fakten über Gras (DocCheck News)
Cannabis hilft bei Epilepsie (Gesundheitsstadt Berlin)
Hamburger Ärzte verschreiben kaum Cannabis (NDR.de)
Marihuana als Medizin: "Heilsverspre¬chen ist unseriös" (Kurier.at)
Veranstaltungen 2020
Alle Informationen zu den IACM Online Events inklusive kostenlose Videos der Webinare mit deutschen Untertiteln finden Sie hier.
IACM-Konferenz 2022
Die 12. IACM-Konferenz zu Cannabinoiden in der Medizin wird am 20. und 21. Oktober 2022 zusammen mit der Schweizerischen SSCM in Basel/Schweiz stattfinden.
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