ACM-Mitteilungen vom 19. Januar 2008
- Medizinische Verwendung von Cannabis demnächst im Deutschen Bundestag
- Bleivergiftungen durch Cannabis nun auch in Österreich
- Dronabinol nun auch in der Schweiz erhältlich
Medizinische Verwendung von Cannabis demnächst im Deutschen Bundestag
Am 27. November hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag mit dem Titel "Medizinische Verwendung von Cannabis erleichtern" in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 16/7285).
Ein genauer Zeitplan für die Behandlung des Antrags liegt noch nicht vor. Zunächst will die Bundestagsfraktion eine Anhörung des Gesundheitsausschusses zu dem Antrag durchführen. Diese Anhörung soll im Laufe des ersten Halbjahres 2008 stattfinden und wird öffentlich sein. Zur Sitzung werden sowohl durch den Ausschuss als auch die einzelnen Fraktionen Einzelsachverständige und Verbände benannt. Die Teilnahme einzelner Patienten an der Anhörung ist nicht möglich. Allerdings können diese als Gast zuhören, da es sich um eine öffentliche Anhörung handeln wird.
Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Kai Gehring, Markus Kurth, Monika Lazar, Anna Lührmann, Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Gerhard Schick, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Medizinische Verwendung von Cannabis erleichtern
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Cannabis bei schweren Erkrankungen wie HIV, Multipler Sklerose, chronischen Schmerzen, Epilepsie und Krebs Linderung bewirken kann. So ist ein therapeutischer Effekt im Hinblick auf Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit bei Tumorpatientinnen und -patienten belegt. Gut abgesicherte Erkenntnisse zur Wirksamkeit gibt es auch bei der Spastik von Multiple-Sklerose-Patienten, erhöhtem Augeninnendruck, Tourette-Syndrom und bei starken Schmerzen unterschiedlicher Ursache. Die Behauptung der Bundesregierung, Cannabis hätte bislang keinen eindeutig nachgewiesenen therapeutischen Nutzen, ist zumindest für diese Indikationen nicht zutreffend. In 13 Staaten der USA, in Kanada und den Niederlanden wird daher die medizinische Verwendung von Cannabis ermöglicht. In anderen Ländern, wie Spanien und Belgien wird die medizinische Verwendung von Cannabis toleriert, indem Patienten keine Strafverfolgung fürchten müssen.
Seit 1998 kann Patientinnen und Patienten Dronabinol (Delta-9-THC), ein Cannabiswirkstoff, mit einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Da Dronabinol allerdings in Deutschland, im Gegensatz beispielsweise zu den USA, keine arzneimittelrechtliche Zulassung besitzt, werden die erheblichen Behandlungskosten – je nach Dosis im Allgemeinen zwischen 300 und 600 EURo pro Monat – in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen. Für viele Patientinnen und Patienten, die zudem krankheitsbedingt häufig über kein oder nur ein geringen Erwerbseinkommen verfügen, bleibt Dronabinol daher unerschwinglich, während sich Patientinnen und Patienten mit hohem Einkommen in Deutschland problemlos ein Privatrezept zur Behandlung mit diesem Cannabinoid leisten können. Die Frage einer adäquaten Behandlung mit Cannabisprodukten ist in Deutschland daher heute auch eine soziale Frage.
Im Januar 2000 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss festgestellt, dass Patienten eine Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Verwendung von Cannabis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragen können (BVerfG, Beschluss vom 20. Januar 2000 – 2 BvR 2382/99). Ein solcher Antrag sei nicht von vornherein aussichtslos, da auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung ein im öffentlichen Interesse liegender Zweck nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) sei, der im Einzelfall eine rechtfertige. Dennoch wurden in der Folgezeit alle entsprechenden Anträge durch das BfArM abgelehnt. Im Mai 2005 rügte das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil diese Praxis und stellte fest, dass entsprechende Anträge nicht pauschal abgelehnt werden dürfen, sondern dass die Selbstmedikation mit Cannabis angesichts der oft schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und des Mangels an alternativen, gleich wirksamen und verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten durchaus im Einzelfall nach § 3 Abs. 2 BtMG erlaubnisfähig sei. Die Entscheidung liege im Ermessen der Behörde, das diese aber bislang aufgrund ihrer strikten Verweigerungshaltung nicht ausgeübt habe.
Am 9. August 2007 hat das BfArM erstmals einen solchen Antrag einer an Multipler Sklerose erkrankten Patientin zur medizinischen Verwendung von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG genehmigt und in der Folgezeit vereinzelt weitere Genehmigungen erteilt. Die vom BfArM erteilte Erlaubnis ist allerdings begrenzt: Den Patientinnen und Patienten ist es nur erlaubt, für die befristete Dauer von einem Jahr einen standardisierten Cannabisextrakt von ihrer Apotheke zu beziehen. Diese Genehmigung ist ein erster Schritt, um Patientinnen und Patienten die Behandlung mit Cannabis zu ermöglichen. Die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte mit Cannabis vergleichbare Wirkung des Ersatzpräparates ist nach ersten Erfahrungsberichten von Betroffenen allerdings zweifelhaft. Zudem wird durch ein kompliziertes Genehmigungsverfahren eine ihrem Wesensgehalt nach ärztlich-medizinische Entscheidung zur Ermessensentscheidung einer Behörde. Der Cannabisextrakt besitzt darüber hinaus keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die Kosten werden damit nicht von den Krankenkassen übernommen. Der Deutsche Bundestag ist daher der Auffassung, dass das Genehmigungsverfahren nach § 3 BtMG kein befriedigender Weg ist, bedürftige Patientinnen und Patienten angemessen zu versorgen. Viele, denen die private Übernahme der Kosten einer Behandlung mit Cannabismedikamenten aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, wären auf eine – möglicherweise jahrelange – juristische Auseinandersetzung mit der Erlaubnisbehörde und auf die Einnahme von nicht nachweislich wirksamen Ersatzpräparaten verwiesen. Dies ist schwer erkrankten Menschen schlichtweg nicht zumutbar.
Wegen der erheblichen Kosten für eine Behandlung mit Dronabinol und wegen der in der Vergangenheit üblichen Praxis des BfArM, entsprechende Anträge nach § 3 BtMG abzulehnen, verschaffen sich viele bedürftige Patientinnen und Patienten Cannabis auf andere Weise und geraten so unweigerlich mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt.
Die Folge sind häufig Strafverfahren, die nur unter der Auflage eingestellt werden, zukünftig keinen Cannabis mehr zu konsumieren. Da viele Patientinnen und Patienten auf eine regelmäßige Einnahme von Cannabis angewiesen sind, werden sie zudem nicht selten als Wiederholungstäter oder wegen des Besitzes nicht geringer Mengen zu empfindlichen Geld oder Haftstrafen nicht unter einem Jahr verurteilt. Damit werden ausgerechnet jene Menschen der Strafverfolgung ausgesetzt, die aufgrund ihrer teilweise schweren Erkrankung ohnehin körperlich und seelisch erheblich belastet sind.
Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass der Leidensdruck von Patientinnen und Patienten gemindert werden muss. Dazu sind Vorschriften in das Betäubungsmittelgesetz aufzunehmen, die Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten eine Therapie auf legalem Wege ermöglichen. Rechtssicherheit wird hier durch Aufnahme eines § 31b in das BtMG geschaffen, der vorsieht, dass bei Vorlage einer ärztlichen Empfehlung im Regelfall die Einstellung des Strafverfahrens erfolgt. Um die Staatsanwaltschaften von der Ermittlung komplexer medizinischer Tatsachenfragen zu entlasten, ist die Einstellung des Verfahrens an das Vorhandensein einer ärztlichen Empfehlung zur Verwendung von Cannabis gebunden.
Um zusätzlich für bestimmte Indikationen die Möglichkeit der Behandlung mit einem wirksamen, definierten und standardisierten Cannabismedikament auf Basis eines dronabinolhaltigen Extrakts zu schaffen, ist es erforderlich, dass die Pharmaindustrie entsprechende Fertigarzneimittel zur Zulassungsreife führt. Durch die Umstufung eines solchen Cannabisextraktes in den Anhang III des BtMG könnte dann die Verschreibungsfähigkeit ermöglicht werden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. einen Gesetzentwurf folgenden Inhalts vorzulegen:
a) im Regelfall ist ein betäubungsmittelrechtliches Strafverfahren wegen Gebrauchs von Cannabis einzustellen und die Beschlagnahme sowie Einziehung des Betäubungsmittels ausgeschlossen, wenn die oder der Tatverdächtige Cannabis aufgrund einer ärztlichen Empfehlung verwendet;
b) es werden die Voraussetzungen sowie das Verfahren geregelt, nach denen eine solche ärztliche Empfehlung anhand einer Liste von Indikationen ausgestellt und nachgewiesen werden kann.
2. sobald ein zugelassenes Fertigarzneimittel auf Basis eines standardisierten, definierten Cannabisextraktes zur Verfügung steht, dieses durch Umstufung in den Anhang III des BtMG verschreibungsfähig zu machen.
Der Antrag findet sich auf der Webseite des Deutschen Bundestages:
Bundestagsdrucksache 16/7285
(Quelle: Bundestagsdrucksache 16/7285, persönliche Mitteilung Büro Dr. Harald Terpe (Mitglied des Deutschen Bundestages))
Bleivergiftungen durch Cannabis nun auch in Österreich
Ein 17-jähriger Jugendlicher war am 10. Oktober vergangenen Jahres mit Bauchkrämpfen in das Landesklinikum St. Pölten und danach in die Kinderklinik ins AKH Wien eingeliefert worden. Als Ursache der Schmerzen wurde eine Bleivergiftung diagnostiziert. Erhebungen der Beamten des Landeskriminalamts Niederösterreich ergaben, dass der 17-Jährige gemeinsam mit einem 16-jährigen Freund, ebenfalls aus dem Bezirk St. Pölten, seit Sommer 2006 in der niederösterreichischen Landeshauptstadt und in einem Lokal in Wien-Alsergrund wiederholt in kleinen Mengen Cannabiskraut gekauft und konsumiert haben dürfte. Insgesamt soll es sich um etwa 220 Gramm gehandelt haben. Vermutlich war der Cannabis zuletzt mit Blei kontaminiert. Nach der stationären Aufnahme des 17-Jährigen begab sich laut Polizei auch der andere Jugendliche ins AKH Wien. Bei dem 16-Jährigen sei ebenfalls eine schwere Bleivergiftung im Körper festgestellt worden.
(Quelle: Niederösterreichische Nachrichten vom 10. Januar 2008)
Dronabinol nun auch in der Schweiz erhältlich
Bisher war in der Schweiz mit einer Sonderbewilligung durch das Bundesamt für Gesundheit nur das aus den USA zu importierende Dronabinol-Fertigpräparat Marinol erhältlich. Ab Februar 2008 ist auch Dronabinol des deutschen Unternehmens THC Pharm über die Bahnhofapotheke in Langnau zu beziehen. Es ist weiterhin eine Sonderbewilligung durch das BAG erforderlich, der Preis für das Medikament wird sich jedoch vermutlich um mehr als die Hälfte auf unter 1,50 Franken pro Milligramm reduzieren.
(Quellen: Newsletter der THC Pharm November/Dezember 2007, persönliche Mitteilung Apotheker Dr. Manfred Fankhauser)
Veranstaltungen 2020
Alle Informationen zu den IACM Online Events inklusive kostenlose Videos der Webinare mit deutschen Untertiteln finden Sie hier.
IACM-Konferenz 2022
Die 12. IACM-Konferenz zu Cannabinoiden in der Medizin wird am 20. und 21. Oktober 2022 zusammen mit der Schweizerischen SSCM in Basel/Schweiz stattfinden.
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